Sport

Durch Positivität zum Erfolg

Schwingen, Ringen, Nationalturnen: Jeremy Vollenweider tanzt auf vielen Hochzeiten – und das mit Erfolg. Überall weiss der Marthaler zu überzeugen. Dabei lässt er sich auch von gesundheitlichen Rückschlägen nicht aufhalten.

von Manuel Sackmann
28. Juni 2024

Wer weiss, vielleicht wäre er heute schon längst Eidgenössischer Kranzschwinger oder Teil des Schweizer Nationalkaders im Ringen, wenn er sich auf eine Disziplin fokussiert hätte. Doch Jeremy Vollenweider zieht es vor, weiterhin mehrgleisig zu fahren. «Ich will es so!», sagt der Marthaler bestimmt. «Ich übe jede Disziplin gleich gerne aus und könnte keine zugunsten einer anderen aufgeben.» Dafür nehme er auch ein hartes Sportlerjahr in Kauf, in dem er kaum zu Hause sei.

Der Erfolg gibt ihm recht. Im Mai feierte der 26-Jährige am Unterland-Schwinget in Hochfelden bei Bülach seinen ersten Festsieg im Schwingen. Vor zwei Wochen liess er am Bündner-Glarner Kantonalen (BüGla) in Davos den ersten Kranzfestsieg folgen. Und dazwischen kürte er sich im Nationalturnen zum Schweizer Meister. Auch im Ringen, das jeweils während der Wintermonate im Vordergrund steht, gewann er schon Wettkämpfe und Meisterschaften.

«Das sind wahrgewordene Kindheitsträume», schwärmt er. Der Schweizer Meistertitel im Nationalturnen habe ihn jedoch nicht überrascht. Aufgrund der Leistungen, die er schon im Vorjahr gezeigt hatte, gehörte er zu den Favoriten in der höchsten Kategorie. «Ich wollte diesen Sieg, erwartete ihn und erreichte ihn schliesslich», sagt Jeremy Vollenweider selbstbewusst. Anders sei es mit dem Kranzfestsieg im Schwingen. «Das hätte ich nie gedacht.» Dass er es nicht in den Schlussgang geschafft habe und nur als lachender Dritter zum Gewinner gekürt worden sei (AZ vom 18.6.2024), trübe diesen Erfolg keineswegs. «Es ist genauso schön.»

Rückschläge überwunden
Selbstverständlich ist das Erreichte ohnehin nicht. Umso erstaunlicher sind seine Erfolge angesichts der vielen schweren gesundheitlichen Rückschläge, die Jeremy Vollenweider schon in jungen Jahren überstehen musste. 2016 erlitt er einen epileptischen Anfall, der einen Herzstillstand und eine Wiederbelebung zur Folge hatte (AZ vom 22.4.2016), wenige Monate später erhielt er die Diagnose Hodenkrebs; beide Male kehrte er ins Wettkampfgeschehen zurück und wurde noch stärker.

Dasselbe gilt für den Kreuzbandriss, den er sich Anfang 2022 zuzog, just nachdem seine Schwingkarriere so richtig Fahrt aufzunehmen schien. 2021 hatte er fünf Kränze errungen, und 2019, in der Saison vor der Corona-Pause, waren es vier, darunter der erste an einem Nordostschweizer Schwingfest (NOS). Seither wird sein Name in den Ranglisten mit zwei Sternen ergänzt, was ihn als Teilverbandskranzer auszeichnet. Einen dritten tragen nur die Eidgenössischen Kranzschwinger.

Immer positiv bleiben
Es sei schon viel, das er habe ertragen müssen, gibt der heute in Beringen lebende Weinländer zu. Doch er sei ein positiver Mensch und sehe immer zuerst das Gute. «Ich stecke den Kopf nicht in den Sand.» Er habe sich klare Ziele gesetzt, seinen Blick stets nach vorne gerichtet und versucht, nicht zu sehr «zu verkopfen». Dabei konnte er sich auf ein stützendes Umfeld verlassen.

Sportlich änderte sich jedoch nur wenig. «Ich trainiere nicht häufiger als zuvor.» Doch gerade nach dem Kreuzband­riss habe er sich mit dem Aufbau Zeit gelassen und «ausnahmsweise auf die Ärzte gehört». Mental sei er durch seine Vergangenheit wohl stärker als früher, vor allem aber höre er heute besser auf seinen Körper und schone sich zwischendurch auch einmal.

Eine volle Woche
Und doch: Dank dreier Sportarten sind seine Wochen voll, viel Freizeit bleibt nicht. Zwei- bis dreimal trainiert er Schwingen, einmal Ringen und zweimal Kraft. Den Freitag nutzt er nach Möglichkeit für die Regeneration. Und das alles, während er zu 100 Prozent als Polier angestellt ist. «Mein Arbeitgeber, die Landolt Bauunternehmung, unterstützt mich sehr und lässt mich abends auch mal früher gehen für das Training.»

Nationalturnwettkämpfe bestehen aber nebst Schwingen und Ringen auch aus vier weiteren Disziplinen. Kommen diese nicht zu kurz? Nein, sagt Jeremy Vollenweider. «Ins Bodenturnen habe ich früher mit meinem Vater sehr viel Zeit investiert, das kann ich heute einfach.» Und auch für das Steinstossen, Steinheben und Sprinten benötige er mittlerweile kaum Training.

Unkonventionell, aber ausdauernd
Als Nächstes steht am kommenden Sonntag wieder Schwingen auf dem Programm: In Meilen geht das NOS 2024 über die Bühne, an welchem der für den Schaffhauser Schwingverband startende Athlet zum vierten Mal einen Kranz gewinnen will. Diese Auszeichnung sei die erste Priorität. «Dann schauen wir, was rauskommt.» Wenn er einen guten Tag erwische, sei vieles möglich. Wie etwa 2019, als er Dritter wurde.

Dass er das BüGla für sich entschied, habe vermutlich weniger auf ihn als auf seine Gegner Auswirkungen. Manche agierten nun vielleicht etwas passiver, im Wissen, dass ihnen ein Kranzfestsieger gegenüberstehe. Das ändere aber nichts daran, dass er einfach immer besser sein wolle als bisher.

So oder so, Jeremy Vollenweiders Gegnern ist zu raten, sich nicht in einen Bodenkampf verwickeln zu lassen. Denn sein Schwingstil ist wohl am ehesten als unkonventionell zu beschreiben. «90 Prozent der anderen Schwinger sagen, ich sei im Sägemehl ein Krüppel – das kannst du so schreiben.» Er habe nicht die imposanteste Postur und schwinge technisch nicht besonders sauber. Durch seine Nebentätigkeit als Ringer sei er naturgemäss ein Bodenspezialist. Was ihn von vielen abhebt, ist sein Talent, den Gegner zu zermürben. «Die meisten Kämpfe gewinne ich über die Kondition.»

Grosse Ziele
Wie weit ihn dies am NOS führt, wird sich zeigen. Und womöglich bringt er sich schon in Stellung für zwei aussergewöhnliche Anlässe 2024. Zum einen sind dies die Eidgenössischen Ringertage im August in Brunnen SZ, an denen er um den Sieg mitreden will. Zum anderen folgt im September das Eidgenössische Jubiläumsschwingfest zur Feier des 125-jährigen Bestehens des nationalen Verbands in Appenzell. Nur die 120 besten Athleten des Landes sind zur Teilnahme zugelassen. «Schön, dass ich dabei sein darf», freut sich Jeremy Vollenweider. Beide Anlässe sind für die Athleten einmalig – die Ringertage finden nur alle 15 Jahre statt, das Jubiläumsschwingfest gar nur alle 25.

Längerfristig das grosse Ziel ist jedoch das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2025 in Mollis GL, das im eigenen Nordostschweizer Teilverbandsgebiet liegt. Dort strebt der 24-fache Kranzschwinger den Kopfschmuck auf höchster Ebene und damit den dritten Stern in der Rangliste an. «Es wäre der letzte Mosaikstein», so der Marthaler. «Dann könnte ich sagen: Ich habe alles erreicht, was ich mir erhofft hatte.»

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