«Ich bin dankbar, dass die Badi immer da ist»

Wassersport - Beatrice Dorer verdankt dem Aquarina vieles. Regelmässiges Schwimmen hilft der Rheinauerin, mit ihrer Krankheit klarzu­kommen. Und es eröffnet ihr neue Möglichkeiten: Ihr Ziel ist die Masters-EM 2026.

Manuel Sackmann (msa) Publiziert: 14. Februar 2025
Lesezeit: 4 min

Es ist ein ikonisches Bild: Beatrice Dorer als Tropfen verkleidet im Hallenbad Rheinau, in der Hand eine Tafel mit der Aufschrift «Prävention statt Rehabilitation», dahinter unzählige Menschen im und um das Becken. Aufgenommen wurde es im Februar 2013 während einer Kundgebung zur Rettung der Anlage, nachdem Abrisspläne im Raum gestanden hatten.
 
«Das Bad war damals wie heute ein wichtiger Treffpunkt für die Jungen», so die Mutter einer Tochter. Immer häufiger hätten Jugendliche psychische Probleme, da seien solche Einrichtungen Gold wert. Mit ihrem Slogan habe sie aussagen wollen, dass es für alle günstiger komme, präventive Angebote zu schaffen als im Nachhinein die Scherben aufwischen zu müssen. «Deshalb setzte ich mich intensiv für den Erhalt der Badi ein.»

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… und im Februar 2013 als Wassertropfen verkleidet an der Kundgebung zur Rettung des Hallenbads. | Archiv

Eine lange Leidenszeit

Noch heute kämpft die 56-Jährige weiter, und das jeden Tag. Grund dafür ist aber nicht die psychische Gesundheit der Jungen, sondern ihre eigene. Beatrice Dorer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS, und an einer Angststörung. Sie hat Burnouts, Depressionen und mehrere Klinikaufenthalte hinter sich. «Ich habe oft keinerlei Energie, bin nicht belastbar und werde komplett handlungsunfähig, wenn kleine, unerwartete Dinge schiefgehen.»
 
Nach einem völligen Zusammenbruch vor bald zehn Jahren musste sie ihren Job als Klassenlehrerin aufgeben, verbrachte sieben Wochen nur im Bett und war danach jahrelang auf Psychopharmaka angewiesen. Heute benötigt sie zwar weiterhin Therapie, ist aber immerhin wieder zu 25 Prozent arbeitsfähig und kann auf Medikamente weitgehend verzichten – dank ihrem starken Glauben und dem Aquarina.

«Gott ist mein wichtigster Anker», sagt die Rheinauerin. «Er ist der Grund, weshalb es mich überhaupt noch gibt.» Und durch regelmässiges Schwimmen tankt sie neue Hoffnung. Zwei- bis dreimal die Woche trainiert sie im Hallenbad, immer eine Stunde lang, oft wenn es ihr gerade nicht so gut geht. Es mache sie glücklich und zufrieden. Im Wasser habe sie Zeit für «gute Prozesse im Hirn», was ihre Lebensgeister zurückkehren lasse. «Ich bin sehr dankbar, dass die Badi immer da ist.» Am Aquarina schätzt sie die Nähe und das Familiäre. Als sie im Herbst aufgrund der Sanierungsarbeiten nach Schaffhausen ausweichen musste, habe sie sich wesentlich weniger wohlgefühlt. «Es war schrecklich. Das Hallenbad ist viel zu voll, ich hatte nie eine Bahn für mich allein.» 

Auf Anhieb Vierte

Beatrice Dorer schwimmt nicht nur gemächlich ihre Längen. Sie hat ein klares Ziel vor Augen: In naher Zukunft will sie an einer Masters-EM teilnehmen, einer Europameisterschaft der Senioren. Als sie vor gut einem Jahr mit dem intensiven Training begann, benötigte sie für 50 Meter Delfin noch 56 Sekunden. An der Schweizer Meisterschaft im November, ihrem ersten Wettkampf überhaupt, war sie bereits nach 43,76 Sekunden im Ziel, was Rang vier ihrer Altersklasse (55 bis 60) bedeutete.

«Die Schweizer Meisterschaft wollte ich vor allem nutzen, um zu erfahren, ob ich einen solchen Anlass in meinem Zustand überhaupt aushalten kann.» Schon vier Tage zuvor habe sie kaum mehr geschlafen, am Wettkampf selbst sei es dann aber überraschend gut gegangen. Das liegt auch an ihrem Trainer, den sie über einen Whatsapp-Chat des Schwimmverbands gefunden hatte. Er war selbst als Wettkämpfer zugegen und hatte nebenbei ein Auge auf sie. Seit einiger Zeit unterstützt er Beatrice Dorer mit Tipps für die Trainingspläne sowie mit Videostudien ihres Schwimmstils, um die Technik zu verbessern.

Noch drei Sekunden fehlen

Mit der an der SM erzielten Zeit hätte Beatrice Dorer die EM-Limite bereits erfüllt. Noch will sie mit einer Teilnahme aber zuwarten, bis sie die 50 Meter Delfin in weniger als 40 Sekunden schafft. In erster Linie gehe es darum, einmal an einem solchen Wettkampf dabei zu sein, sie wolle aber auch einigermassen mithalten können. Und das sei erst mit einer Zeit in den 30ern realistisch. Sie nimmt die Ausgabe 2026 ins Visier. «Jetzt wird es aber schwieriger, mich zu verbessern», ist sie sich bewusst. Die letzten drei Sekunden seien die härtesten. Sie nimmt diese Herausforderung gerne an. «Klare Ziele helfen mir, auch an schlechten Tagen aus dem Bett zu kommen.»

Doch was ist, wenn sie die Ziele dereinst erreicht hat und diese somit wegfallen? Das sei ungewiss, gibt die Rheinauerin zu. «Dann brauche ich wohl einen neuen Plan.» Vorstellen könnte sie sich einen Wechsel auf die 200-Meter-Distanz oder gleich ganz auf das Langstreckenschwimmen. So oder so: «Es wird auf jeden Fall etwas mit Schwimmen sein.»