Weinland

Alles Arbenz, oder was?

Sie kamen aus Bern oder Freiburg, aus England, Costa Rica oder dem Oman. Sie sind Büroangestellte, Juristinnen, Hoteliers und ja, auch Müller. Am Sonntag traf sich die Familie Arbenz im Schloss zu einem speziellen Jubiläum. Und einem Abschied.

von Tizian Schöni
14. Juni 2024

Kein Geschlecht hat Andelfingen in der Vergangenheit wohl derart geprägt wie das der Arbenz. Seit 1577 besitzen sie das Bürgerrecht in Andelfingen, etwa gleichzeitig liess sich ein anderer Familienzweig in Dorf nieder. Die wohlhabenden Händler aus dem italienischen Aostatal wurden hier bald von misstrauisch beäugten Fremden zu hoch angesehenen Bürgern.

Beruflich wie politisch dominierten sie lange Zeit die Geschicke des Orts: ob als Wirtsleute, Müller oder Militärs, als Gemeinde- und Kantonsräte oder als Richter. Besonders im 19. Jahrhundert erlangte das Geschlecht eine ungewöhnlich grosse Bedeutung. 22 Familien mit dem Namen Arbenz zählte Andelfingen damals, das Dorf hatte insgesamt etwa 700 Einwohner. Zwischen 1806 und 1913 bekleideten neun Angehörige des Geschlechts während insgesamt 66 Jahren das Amt des Gemeindepräsidenten. 1855 waren gar drei der fünf Gemeinderäte Familienangehörige.

Nicht erstaunlich also, dass sich im Juni 1849 erstmals zehn (männliche) Mitglieder des Clans im «Löwen» trafen. Sie gründeten den Familienverein und bestätigten erstmals die Richtigkeit eines Stammbaums, den der damalige Lindenmüller erstellt hatte. So erzählte es der heutige Vereinspräsident Peter Arbenz-Lehmannn an der 175. Generalversammlung des Vereins.

Gut 50 Mitglieder aus aller Welt versammelten sich am vergangenen Sonntag im Schloss Andelfingen, ein Familienfest der besonderen Art.

Familienfonds für Geschlechterkunde
Regelmässige Einzahlungen ins Vereinsvermögen schufen über die Jahrhunderte einen Fonds, aus dem unter anderem Reisen finanziert, Bedürftige unterstützt und später die drei Stammbaum-Bücher der Familie bezahlt werden sollten.

Peter Arbenz rekapitulierte für die Anwesenden die Geschichte des Vereins und liess dabei nicht aus, dass der Fonds 1870 auch einmal um 400 Franken geprellt worden war. Der Sohn des Vereinsgründers, Jakob Arbenz, hatte sich zünftig an der Börse verspekuliert und sich dafür am Vereinsvermögen vergangen. Immenser Schaden war aber der lokalen Ersparniskasse entstanden, welcher Jakob als Kassier vorgestanden hatte. Sie verlor durch die Unterschlagungen fast 60'000 Franken (AZ vom 15.8.2023), damals eine riesige Summe.

Auf eine Klage verzichtete der Verein grosszügig, schloss den Spekulanten vier Jahre später aber trotzdem aus dem Verein aus – weil er seinen Beitrag nicht bezahlt hatte. Kein Wunder, der Mann sass längst im Gefängnis für seine Taten.

Regelmässig, wenn auch nicht jährlich, fanden bisher Versammlungen statt, ab 1937 mit allen Familienzweigen, zuvor war jeweils nur die Lindenmühle-Linie eingeladen gewesen. Heute kämpft der Vorstand mit denselben Problemen, wie sie viele Vereine in der Region kennen: Die neue Generation sei schwer für die Mitgliedschaft zu begeistern, und «in zehn bis zwölf Jahren» würden die Finanzmittel ausgehen. Drei neue Mitglieder wurden aber trotzdem – von kräftigem Aplaus begleitet – im Verein willkommen geheissen, auch im 175. Jahr nach der Gründung.

Pünktlich zu diesem speziellen Datum stellte der Vorstand zudem den dritten Band der familieneigenen Geschlechterforschung vor. Er ergänzt den Stammbaum der ersten beiden Bände um die neu hinzugekommenen Mitglieder der vier Linien Bären, Lindenmühle, Dorf und Wheeling.

Der Sohn eines Präsidenten
Dank ihres einzigartigen Nachnamens seien die Spuren der Familie Arbenz vergleichsweise leicht nachzuverfolgen, sagte Vereinspräsident Peter Arbenz-Lehmann am Rande der Versammlung. Eine der bedeutendsten Spuren in jüngerer Zeit führt unzweifelhaft nach Guatemala, wohin Jakob Arbenz 1899 emigriert war. Sein Sohn, Jacobo Árbenz Guzmán, wurde Offizier und 1951 zweiter demokratisch gewählter Präsident des Landes. Nur drei Jahre später putschte ihn die CIA aus dem Amt – ja, wirklich (AZ vom 26.1.2021).

Jacobo Árbenz Guzmán starb 1971 im mexikanischem Exil unter ungeklärten Umständen. Sein Sohn und dessen älteste Tochter waren in Andelfingen zugegen. Bis heute machen sie sich für die Rehabilitierung ihres Vaters und Grossvaters stark – zuletzt mit der Einweihung eines Denkmals in San José in Costa Rica, wo die Familie heute beheimatet ist (siehe Bild).

Während einige Familienmitglieder von weit her anreisten, war anderen die Teilnahme nicht mehr möglich. Peter Arbenz-Schönenberger, ehemaliger Winterthurer Stadtrat und erster Flüchtlingsbeauftragter des Bundes, verstarb im September des letzten Jahres. Für ihn und weitere Verstorbene legten die Angehörigen einen Moment des Schweigens ein.

Ein Ende ist indes auch über die neunte Müllersgeneration in der Haldenmühle gekommen. Caspar und Hanna Arbenz sind beide über 80 Jahre alt und verabschieden sich langsam, aber bestimmt vom Gewerbe (siehe Kasten). Sie wurden nach der GV gebührend «verabschiedet», bevor sich die ganze Familie zum Mittagessen in die «Autohalle» verabschiedete.

Caspar und Hanna Arbenz wollen «langsam aufhören». Bisher mahlen sie noch vereinzelt für Kunden, an der GV des Familienvereins wurde ihre Arbeit in neunter Generation nun gewürdigt.
Caspar und Hanna Arbenz wollen «langsam aufhören». Bisher mahlen sie noch vereinzelt für Kunden, an der GV des Familienvereins wurde ihre Arbeit in neunter Generation nun gewürdigt. / Carole Arbenz

Die letzte Mühle kommt zur Ruhe

Von den ursprünglich sechs Mühlen in Andelfingen ist heute nur noch eine in Betrieb: die Haldenmühle unter Caspar und Hanna Arbenz. In neunter Generation betreibt die Familie diese Mühle, gar seit 1577 sei das Geschlecht ununterbrochen im Müllersberuf in Andelfingen tätig, sagte Peter Arbenz nach der Generalversammlung des Familienvereins (siehe Haupttext). Doch nun sind die beiden über 80 und möchten langsam kürzertreten. Noch kommt das Mehl für die «Spätzlipfanne» aus der Haldenmühle, und für vereinzelte Kunden sei die Anlage immer noch in Betrieb. «Der Berufsstolz verbot ihm bisher das Aufhören», sagte Peter Arbenz. Wie lange er noch anhält, darauf wollten sich die beiden am Sonntag nicht festlegen. Zu Ehren des Paars waren die Eigentümer der übrigen Mühlen anwesend. Denn mit diesem Schlussstrich wird nicht nur ein Stück Familien-, sondern auch Regionalgeschichte zu Ende gehen. Caspar und Hanna Arbenz sind die letzten praktizierenden Müller im «Mühlendorf» Andelfingen. Künftig werden nur noch die imposanten Gebäude an das alte Handwerk erinnern. (tz)

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