Auf den Teller statt in die Tonne

Henggart -  Lebensmittelverschwendung reduzieren und damit Armutsbetroffenen helfen – möglich macht dies Tischlein deck dich dank Lebensmittelspenden und vielen Freiwilligen. Seit Januar profitiert davon auch das Weinland.

Cornelia Berger (cob) Publiziert: 21. März 2025
Lesezeit: 3 min

Am Ende ist fast nichts mehr übrig: ein paar Bananen und Karotten, Hüttenkäse sowie Vitaminwasser. Diese Lebensmittel sind an diesem Donnerstag auch in grossen Mengen verfügbar gewesen in der Abgabestelle von Tischlein deck dich in Henggart. Doch auch diese Rest­artikel werden nicht weggeworfen, sondern weitergegeben an eine Institution in Marthalen. Mindestens an diesem Morgen in Henggart hat Tischlein deck dich also sein Ziel erreicht, keine Lebensmittel wegzuwerfen.

Mit einer entsprechenden Kundenkarte können Armutsbetroffene die geretteten Lebensmittel beziehen. In Henggart wird dafür jeweils am Donnerstagmorgen ein temporärer Laden eingerichtet. Neben der Zuteilung der Produkte, die aus dem Logistiklager in Winterthur geliefert werden, gibt es an diesem Morgen auch Biogemüse vom Tännlihof in Andelfingen. Darunter ist auch Randen. Der sei jeweils besonders beliebt, meint Regula Wernli. Sie leitet die Abgabestelle mit Priska Huber. Sie und auch die anderen Helfenden, die heute anwesend sind, arbeiten freiwillig. Es brauche etwa 25 Freiwillige, um eine Abgabestelle zu betreiben. So könne jede Person alle zwei Wochen einen Einsatz leisten.

Gegen Lebensmittelverschwendung

Seit 25 Jahren rettet Tischlein deck dich Lebensmittel. Die erste Foodwaste-Organisation der Schweiz erhält von der Lebensmittelindustrie und den grossen Detailhändlern, aber auch von regionalen Betrieben Produkte, die nicht verkauft werden können. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht oder die Verpackung fehlerhaft ist. Diese Waren werden an Armutsbetroffene verteilt. Im Januar wurde die 162. Abgabestelle in den Räumlichkeiten der Freien Evangelischen Gemeinde FEG in Henggart eröffnet (AZ vom 10.1.2025). Laut Reto Schlegel von Tischlein deck dich waren verschiedene Standorte im Weinland geprüft worden. Entscheidend sei schliesslich die gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr gewesen. Ausserdem stellt die FEG die Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung. Er betont die Wichtigkeit solcher Partnerschaften. «Wir sind sehr dankbar für diese Möglichkeit.» 

Den Bedarf einer Lebensmittel-Abgabestelle im Weinland stuft er als moderat ein. Für diejenige in Henggart seien durch Sozialfachstellen 47 Kundenkarten abgegeben worden. Momentan kämen an einem Morgen etwa 25 Personen, erklärt eine freiwillige Helferin. Wer wie viel mitnehmen darf, entscheiden die beiden Leiterinnen gemeinsam. Zuerst werden die Produktspenden ausgepackt, ausgelegt und gezählt. Dann werden anhand eines Verteilschlüssels die Abgabemengen pro Kundenkarte berechnet. Berücksichtigt wird dabei die Grösse der zu ernährenden Familie. Gibt es von einem Produkt nur wenig, werden Grossfamilien bevorzugt. Zusätzlich zum Kontingent finden sich neben den Produkten in der Auslage auch Informationen zum Verzehr über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus (siehe Box) sowie zu Allergenen.

Tasche nicht vergessen

Alles, was in grossen Säcken verpackt ist und gut geteilt werden kann, wird portionsweise umverpackt. An diesem Morgen werden unter anderem Sugus, Nudeln und Tiefkühlpommes für 20 Familien portioniert. So stellen die beiden Leiterinnen sicher, dass auch die letzten Kunden noch eine grosse Auswahl haben. Das sei ihnen wichtig, erklärt Priska Huber. Es solle sich anfühlen wie in einem normalen Laden. Es müsse auch nichts genommen werden, nur weil es gratis sei. Für jede Lebensmittelabgabe bezahlen die Kunden einen symbolischen Franken – und sie müssen ihre eigenen Taschen mitbringen. Dazu gehört auch eine Kühltasche, damit die Kühlkette nicht unterbrochen wird.

Nachdem alle Kundinnen eine Runde durch den Laden gedreht haben, ist es Zeit für die Glücksrunde. Dabei werden die übrig gebliebenen Lebensmittel neu verteilt auf die Personen, die bis zum Schluss gewartet haben. Merken die Freiwilligen, dass ein Produkt unbeliebt ist, wird es jedoch aussortiert. Würde man es den Kunden in der Glücksrunde noch aufzwingen, würden es diese dann ja doch nur wegwerfen. Davon hätte niemand etwas, bemerkt Priska Huber. Ausserdem gebe es weitere Abnehmer, die möglicherweise Freude daran hätten. Aktuell werde erst eine Institution in Marthalen mit den übrig gebliebenen Lebensmitteln beliefert. Auch dies übernähmen die Freiwilligen nach ihrem morgendlichen Einsatz.

Genuss über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus

In der Schweiz werden jährlich 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet – das entspricht etwa einem Drittel aller Lebensmittel. Ein Grund dafür ist das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). Anders als beim Verbrauchsdatum können Lebensmittel jedoch zum Teil lange darüber hinaus noch genossen werden. Dazu wurden von verschiedenen Organisationen die Richtlinien MHD+ eingeführt, darunter die Schweizer Tafel, foodwaste.ch, aber auch die Zürcher Hochschule ZHAW. Sie geben an, wie lange ein Produkt noch bedenkenlos verzehrt werden kann.

Das Verbrauchsdatum hingegen darf aus gesundheitlichen Gründen nur überschritten werden, wenn das Produkt rechtzeitig eingefroren wurde. Dies gilt zum Beispiel für Frischfleisch, Reibkäse und Fischerzeugnisse. Dabei gilt eine zusätzliche Haltbarkeit von 90 Tagen. 

 

Produkte MHD
Mehl, Teigwaren und Reis, Tee und Kaffee
Salz, Essig und Gewürze
Zucker und Sirup, Konfitüre, Honig
Schokolade und Süsswaren
+ 360 Tage
Fett und Öl, Softdrinks und Mineralwasser
Dosen- und Ölkonserven, Trockensuppen und -saucen
Cerealien, Knäckebrot und Zwieback
+ 120 Tage
Tiefkühlprodukte + 90 Tage
Gekühlte Getränke wie Fruchtsäfte
UHT-Milch, Butter, Hartkäse
Gebackene Snacks, Guetzli und Nüsse
+ 30 Tage
Quark, Joghurt, Frisch- und Weichkäse
Pökelwaren zum Rohessen (Rohschinken etc.)
gekochte Eier, vorverpackte Backwaren
+ 14 Tage
Rohe Eier, pasteurisierte Milch
Kleingebäck (Konfekt, Kuchen)
+ 6 Tage