Weinland

Coolness und Nutzen vereinen

Statt auf 200 Quadratmetern nur noch auf 75 leben: Die Familie Fontana will ihre Wohnansprüche aus prinzipiellen, finanziellen und vor allem umwelttechnischen Gründen reduzieren. Ein Mikrohaus soll die Lösung sein.

von Jasmine Beetschen
15. März 2022

Eine vierköpfige Familie – die beiden Töchter im Teenageralter – mit Hund in einem 75-Quadratmeter-Häuschen mit nur einer Minigartenecke und einem Badezimmer: Ist das nicht furchtbar eng? «Überhaupt nicht», findet Michel Fontana aus Rüdlingen. Er weiss, wovon er spricht: Mehr durch Zufall lebten er und seine Familie während eines neunmonatigen Neuseelandaufenthalts genau so. «Wir wohnten in einem kleinen Häuschen auf einem Hügel, total romantisch, zusammen mit zig Ameisen und Insekten, auf wenige Räume verteilt – aber es war das Beste, was uns passieren konnte», so der 50-Jährige. «Wir sind als Familie wortwörtlich näher zusammengerückt.»

Das habe richtig gutgetan und hatte einen erfreulichen Nebeneffekt. Nicht nur musste die Familie aufgrund der geringeren Wohnfläche weniger putzen. Allgemein kamen weniger Kosten zusammen: weniger Putzmittel, Kleidung oder Deko, statt eines gros­sen Fernsehers ein kleiner, keine Stereoanlage und so weiter. «Das zu merken, war eine Befreiung für uns», sagt Michel Fontana.

«Was machen wir hier eigentlich?»
Umso grösser war der Schock, als sie­ – coronabedingt bereits nach neun statt zwölf Monaten und innerhalb einer Woche – wieder in ihrem Zuhause in Rüdlingen ankamen. «Wir standen im Eingang, fühlten uns richtiggehend verloren und wussten nicht recht, was wir mit dem grossen Haus anfangen sollten», erzählt er. Fragen tauchten auf: «Wofür brauchen wir überhaupt einen Garten? Wer nutzt die ganze Fläche im Haus? Einen solch gros­sen Tisch mit sechs Stühlen, wofür brauchen wir den ganzen restlichen Raum – sollen wir da die ganze Zeit drumherum tanzen oder wie? Was machen wir hier eigentlich?» Dieses Gefühl sei stetig gewachsen und habe die Familie seit April 2020 nicht mehr losgelassen.

In eine Wohnung zu ziehen, ist für die Familie jedoch keine Option. «Vom Platz her ja, aber umwelttechnisch gesehen geht das heute leider noch nicht», findet Michel Fontana, der im Prozess- und Logistikmanagement tätig ist. Zu wenige Wohnungen seien umweltfreundlich gebaut, ihm fehle oft die Innovation hinter dem Bau.

Eine Regenwassernutzungsanlage, Solarener­gie­, eine sinnvolle Raumnutzung ohne Verschwendung: Alles Punkte, die für ihn nicht mehr fehlen dürften. Denn: «Etwas für die Umwelt tun, ist nicht nur Abfall trennen und einen elektrischen Rasenmäher kaufen. Das sollte eigentlich schon selbstverständlich sein.» Für ihn geht Umweltschutz dar­über hinaus.

Wohnfläche reduzieren
So entwickelte die Familie die Idee, sich ein Mikrohaus – eine leicht vergrös­serte Variante eines Tinyhouses – zu bauen. Damit könne sie zum einen die Wohnfläche aufs Nötigste reduzieren und entsprechend Geld und Nerven für den Unterhalt sparen, zum anderen rücke die Familie dadurch wieder zusammen und könne umweltfreundlich leben. «Wir möchten zeigen, dass man mit wenig Ressourcen sehr wohl gut wohnen kann, und das im eigenen Heim», erklärt Michel Fontana.

Zu Zeiten, in denen ein Eigenheim kaum bezahlbar sei, sei ein solches Mikrohaus die optimale Möglichkeit für junge Familien, trotz hoher Preise auf dem Immobilienmarkt ein eigenes Haus zu besitzen. Und das Leben auf wenigen Quadratmetern sei keineswegs ärmlich oder mit Verzicht verbunden. «Es kombiniert schlicht Coolness und Nutzen und ist einfach gesagt eine Komprimierung aufs Wesentliche.»

Lösung für Wohnen im Alter
Und der Gedanke lasse sich noch weiterspinnen. Diese Art des Lebens könne nicht nur für junge Familien interessant sein, sondern auch für ältere Menschen. «Zu oft müssen diese im Alter ihr geliebtes Eigenheim aufgeben, weil sie es nicht mehr alleine unterhalten können, und in eine Wohnung ziehen», so der Rüdlinger. Aber ein Mikrohaus mache kaum Arbeit und könne somit eine ideale Lösung für Seniorinnen und Senioren sein. Und spanne man diesen Gedanken weiter, wären in Zukunft auch kleine Siedlungen mit solchen Minihäusern denkbar. «Eine Gemeinschaft, in der sich gegenseitig geholfen wird, wodurch viele ältere Menschen wieder länger in ihrem eigenen Heim leben könnten», so Michel Fontana.

Philosophie weitergeben
Das sei aber noch Zukunftsmusik. Erst einmal versucht die Familie, ein geeignetes Stück Land mit etwa 300 bis 500 Quadratmetern Fläche in der Umgebung zu finden. Über einen Aufruf im «Buechemer Blettli» und Briefanfragen an Grundstückbesitzer machen sie zurzeit auf ihr Anliegen aufmerksam. «Auf diese Weise versuchen wir es mal bis im Herbst und hoffen, jemanden zu finden, der unsere Idee unterstützen möchte und ein geeignetes Bauland zur Verfügung stellen kann», sagt er.

Ihr jetziges Miner­gie­-Holz-Einfami­lien­haus mit einer Wohnfläche von über 200 Quadratmetern möchten sie an eine Grossfamilie verkaufen. Die Selektion dafür übernimmt die Familie selbst. «Uns ist es wichtig, unsere Philosophie der optimalen Wohnraumnutzung weiterzugeben und so unseren persönlichen Beitrag an den Umweltschutz zu leisten.»

Andreas Brunner.
Andreas Brunner. / zvg

«Ein nachhaltiger Lebensstil hört nicht beim Kauf eines E-Autos auf»

Andreas Brunner, Leiter der Ener­gie­­-Region Zürcher Weinland, begrüsst die Idee der Mikrohäuser, respektive Tinyhouses. Er sieht darin ein optimales Mittel, um sich für den Umweltschutz einzusetzen und einen nachhaltigen Lebensstil zu pflegen.

Wie ist Ihre Meinung zu Minihäusern und der Philosophie dahinter?
Andreas Brunner: Grundsätzlich ist es sehr erfreulich und äusserst lobenswert, wenn Leute sich Gedanken dar­über machen, wie sie ihren Lebensstil so anpassen können, dass ihr ökologischer Fussabdruck gesenkt werden kann und sie damit einem nachhaltigen Leben einen Schritt näherkommen. Die eigene Wohnsi­tua­tion zu hinterfragen ist ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Teilaspekt. In diesem Bereich gibt es sehr viel Potenzial.

Was ist das Besondere an Mikrohäusern?
Natürlich lässt sich nichts verallgemeinern, und jedes solche Bauvorhaben muss einzeln betrachtet werden. Im Allgemeinen ist die Idee der Minihäuser zu unterstützen. Kleinere Häuser bedeuten weniger Ressourcenverschleiss beim Bau, weniger überbaute Landfläche sowie weniger Fläche, die beheizt werden muss und entsprechend Ener­gie­ verbraucht. Generell gilt wohl auch, dass, wer sich für den Bau eines Tinyhouse entscheidet, auch weitere Aspekte der Nachhaltigkeit im Blick hat.

Welche Punkte sind essenziell beim Bau eines solchen Hauses?
Dinge wie die Nutzung von erneuerbarer Ener­gie­­, exzellente Wärmedämmung, ener­gie­­effiziente Geräte und Betrieb, Bauen mit Holz statt Beton (Beton ist für den Grossteil der CO2-Emissionen beim Bauen verantwortlich), möglichst lokale Wertschöpfung, minimierter Wasserverbrauch oder eine naturnahe Umgebungsgestaltung, in der einheimische Tiere und Pflanzen ein Zuhause finden. Ein nachhaltiger Lebensstil hört nicht beim Kauf eines Elektroautos oder beim Ersatz der Ölheizung mit einer umweltfreundlicheren Variante auf.

Was muss ferner beachtet werden?
Es ist wichtig, dass das alte Haus, wenn immer möglich, weiterhin bestehen und die Bausubstanz erhalten bleibt. Der Bärenanteil dessen CO2-Fussabdrucks steckt in den vorhandenen Betonmauern (sofern kein Holzhaus), und ein Abriss mit konventionellem Neubauprojekt an selbiger Stelle würde den Effekt des Umzugs ins Mikrohaus mehr als vernichten. Auf die Wahl der Käuferschaft muss also auch ein Augenmerk gelegt werden.

Mit dem Fortbestand der Immobilie kann zudem im besten Fall verhindert werden, dass irgendwo ein anderes, grösseres, weniger umweltschonendes Bauprojekt realisiert wird. Entsprechend ist es auch ratsam, ebenso das alte Heim – falls nötig – energetisch auf Vordermann zu bringen, sodass der Fussabdruck der neuen Bewohner tiefer zu liegen kommt.

Wie sieht die rechtliche Lage aus?
Das ist Sache der örtlichen Bauzonenverordnung in den Gemeinden, und es gilt, alle Interessen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Aber natürlich ist es aus Sicht des Klimaschutzes wünschenswert, wenn solchen Vorhaben nicht unnötig hohe Hürden in den Weg gestellt werden.

Ist ein Trend erkennbar?
Wie in allen Bereichen der Nachhaltigkeit ist auch in Bezug auf nachhaltiges Wohnen sicherlich ein positiver und erfreulicher Trend erkennbar. Allerdings haben wir es hier im Falle der Familie in Rüdlingen sicherlich noch mit einer Pionierleistung zu tun.

Interview: Jasmine Beetschen

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