Das halbe Leben als Waagmeisterin

Dorf - Es war der letzte kleine Job von Margrit Lüthi: Mit der Stilllegung der Gemeindewaage beginnt für die 73-Jährige endgültig die Pensionszeit. 36 Jahre war sie im Einsatz für die Gemeinde.

Christina Schaffner (cs) Publiziert: 31. Dezember 2024
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Ende der 1980er-Jahre übernahm Mar­grit Lüthi mehrere kleine Aufgaben bei der Gemeinde Dorf: Sie wurde Weibelin, war für die Gefrierfächer zuständig und wurde 1988 Waagmeisterin. «In den ersten Jahren hatte ich sehr viel zu tun», erinnert sie sich beim Durchblättern des alten Waagbuchs. Jeweils über mehrere Seiten erstrecken sich die Eintragungen, die sie und ihre Stellvertreterin gemacht haben – manchmal arbeitete sie den ganzen Tag für die Gemeinde.

«Die Bauern standen fürs Wägen oft lange an», erzählt sie. Entlang der Flaachtalstrasse, die eine Kantonsstras­se ist, hätten sie gewartet, um ein erstes Mal ihre Fuhrwerke wägen zu lassen. Bei der Mosterei Friho warteten sie ein zweites Mal, um ihre Äpfel und Birnen abzuladen. Und ein drittes Mal mussten sie anstehen, um das leere Gefährt erneut zu wägen. «Es war ein Treffpunkt, es wurde geplaudert und gescherzt», sagt Margrit Lüthi. Niemand habe ein Problem mit dem Warten gehabt. Aber sie sei auch beäugt worden, ob sie denn alles richtig mache.

Lohn abhängig von Wägungen

Sie hatte indessen alle Hände voll zu tun: Einerseits kontrollierte sie, ob alle Räder auf der Waage standen, notierte das Gewicht und gab die Waagscheine aus. Ihr Lohn damals: die Hälfte der Wiegekosten, die mindestens fünf und maximal 14 Franken betrugen. So kamen in den Anfangsjahren bis zu 800 Franken im Jahr zusammen.

Es war ein Treffpunkt, es wurde geplaudert und gescherzt.

Das änderte sich später. Während in der Anfangszeit ihrer Tätigkeit auch Heu, Stroh, Holz und Trauben gewogen worden waren, waren es bald nur noch Obst und wenige Maschinen. Zuletzt seien es vielleicht noch fünf oder sechs Wägungen im Jahr gewesen. «Die Einführung von Paloxen war der Untergang der Brückenwaage», ist sie überzeugt. Denn die handlicheren Gebinde konnten von den Abnehmern selbst gewogen werden.

Ein besonderes Erlebnis sei aber das Wägen mehrerer Pferde gewesen, auf denen die Besitzer von Humlikon nach Dorf geritten kamen. «Sie mussten stillstehen, was sie aber auch taten», lacht sie. Lebendiges Gut habe sie aber sehr selten wägen müssen.

Da sich ihre Arbeit nicht mehr wirklich lohnte, am Ende nur noch wenige Wohnwagen oder Anhänger für die Kontrolle beim Strassenverkehrsamt angemeldet wurden, habe sie beim Gemeinderat nachgefragt, ob er die Waage nicht aufgeben wolle. Zuerst zögerten die Verantwortlichen, aber weil die Kosten des Unterhalts und des vorgeschriebenen zweijährlichen Eichens die Einnahmen bei Weitem überstiegen, wurde die Waage Ende September stillgelegt.

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Margrit Büchi während ihrer Arbeit als Waagmeisterin im Jahr 1992. | zvg

120 Jahre alte Waage

Das Häuschen ist inzwischen abgebaut. «Es bot mir guten Schutz vor Regen», meint Margrit Lüthi. Traurig sei sie aber nicht, dass sie ihre letzte Gemeindeaufgabe nun nicht mehr habe. «Es ist eine andere Zeit, in der solche Waagen ausgedient haben.» Immerhin war die 1905 eingeweihte Waage fast 120 Jahre im Einsatz und ist eine der letzten der Region, die nun stillgelegt wurde. Fast einen Drittel der Zeit wurde sie von Margrit Lüthi bedient.

Vom Statthalter vereidigt

Waagmeisterin Margrit Lüthi wurde vom Statthalter vereidigt und übernahm die Aufgabe gern, da diese mit dem Grossziehen ihrer zwei Kinder gut vereinbar war. Die Brückenwaage stand vor ihrem Wohnhaus, in dem sie auch geboren worden war – der Weg zur Arbeit war entsprechend kurz. Die gelernte Kinderpflegerin führte aber auch die anderen Gemeindeaufgaben wie das Beaufsichtigen der Gefrierfächer und vor allem das Amt der Weibelin gerne aus. «Als Weibelin kommt man im Dorf herum, kann hier und da plaudern und hat immer Kontakt zu den Leuten.» Als sie aber vor sechs Jahren einen Zeh gebrochen hatte und die Traueranzeige einer Dorfemerin verteilen musste, die sie sehr gern gehabt hatte, entschloss sie sich, damit aufzuhören.
 
Bis zur Pensionierung hatte sie zudem in Teilzeit bei der Post gearbeitet – ein Einkommen, das vor allem nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes sehr wichtig war. Nach 36 Jahren ist ihr letzter Nebenverdienst Geschichte. Nun zählen nur noch ihre Kinder und vor allem die beiden Enkelkinder: Gerne besucht die rüstige Frau sie, spielt und lacht mit ihnen und geniesst den Ruhestand.