Zu Hause alle Zelte abzubrechen und auszuwandern, das erfordert Mut. Umso mehr, wenn der Grund fürs Auswandern die Liebe zu einem schwer kranken Menschen ist. Genau dies hat die heute 35-jährige Sibille Komen-Schmid aus Henggart vor sieben Jahren getan und ist zu ihrem jetzigen Mann Josh nach Neuseeland gezogen.
Die Lovestory des Paares berührt, denn sie ist nicht nur eine Geschichte über Bangen, Hoffen, Glück und Liebe, sondern auch über einen grossen Durchhaltewillen. Kein Wunder also, dass bereits mehrere neuseeländische Medien über die beiden berichtet haben.
Von sehr sportlich zu schwer krank
Und nun zieht das Schweizer Fernsehen nach. Mona Vetsch und ihr Team von «Auf und davon – Neuseeland» haben Sibille und Josh Komen sowie ihre zweijährige Tochter Maja in ihrem Zuhause in Greymouth besucht – einer kleinen Provinzstadt an der Westküste der Südinsel mit rund 8000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Dass die Medien hierzulande und in Ozeanien Interesse an dem Paar haben, ist vor allem im Schicksal von Josh begründet: Der heute 37-Jährige war 2011 schnellster Neuseeländer über 800 Meter, befand sich auf dem Sprung zum Spitzensportler und bereitete sich gerade als Vertreter seines Landes auf die Glasgow Commonwealth Games vor, als er 2013 während eines Rennrad-Events plötzlich zusammenbrach. Die darauffolgende Diagnose führte bei ihm zu einer schweren Depression: Akute myeloische Leukämie.
Trotzdem nahm er den Kampf gegen den Krebs auf – und bezwang ihn. In seinem Buch «The wind at my back», das 2019 in Neuseeland erschien, schreibt er, er habe sich damals entschieden, der Krankheit zu begegnen wie einem Wettkampf. «Ich visualisierte, dass ich das Rennen laufen und es erfolgreich beenden würde. Ich sagte mir selber, ich würde hier gesund rausgehen und meinen Träumen folgen.» Es war der Start eines mentalen Weges, dem Josh bis heute folgt und auf dem er sich kürzlich selbständig gemacht hat: seiner Berufung als Motivations-Coach und Public Speaker.
Der Flug ins Glück
Josh wurde wieder gesund, surfte, reiste, bestieg das Basislager des Mount Everest auf 5791 Metern über Meer und absolvierte eine Ausbildung zum professionellen Fallschirmspringer. Doch ein halbes Jahr später kehrte der Krebs zurück – schwerer dieses Mal. Eine Blutstammzellentransplantation wurde notwendig. Diese war zwar lebensrettend, doch er bekam schwere Komplikationen in Form der «graft-versus-host-disease», also der Spender- gegen-Empfänger-Reaktion. Kurz gesagt: Das eigene Immunsystem stösst den Körper ab – bis heute. Die Folgen sind ein verändertes Hautbild, Entzündungen, Krämpfe, starke Schmerzen und mehrere Herzinfarkte. Um die Komplikationen einigermassen in den Griff zu bekommen, reiste er während mehrerer Jahre alle zwei Wochen nach Melbourne, Australien, und besuchte dort eine spezielle Therapie im grössten Krebskompetenzzentrum Ozeaniens.
Was er damals nicht ahnte: Im März 2017 würde er hier, auf einem dieser Flüge, seine künftige Frau kennenlernen: Sibille Schmid.
Gespräche und Gemeinsamkeiten
«Ich hatte nach der Trennung von meinem damaligen Freund meinen Job als Pflegefachfrau in der Onkologie des Kantonsspitals Winterthur und meine Wohnung in Henggart gekündigt, um für sieben Monate durch Australien und Neuseeland zu reisen», erzählt Sibille. Vor dem Start ihres Fluges von Christchurch nach Melbourne sei ihr ein junger Mann im Flugzeug-Gang aufgefallen. «Ich habe sofort erkannt, dass er nicht gesund ist und dass es ihm nicht gut geht.» Als sie sich noch gefragt habe, was wohl mit ihm passiert sei, habe er sich bereits neben sie gesetzt, ihr ein freundliches Lächeln geschenkt und sie gefragt, wie es ihr gehe. Sie kamen ins Gespräch und redeten den ganzen dreistündigen Flug durch – die Chemie stimmte. «Viele Menschen mit einem solchen Schicksal ziehen sich zurück und möchten nicht darüber sprechen. Bei ihm war das anders.» Eine Offenheit, die sie beeindruckt hat.
Als Josh erfuhr, dass sie aus fachlicher Sicht Interesse an seiner hochspezialisierten Therapie hatte, fragte er sie, ob sie ihn nicht ins Spital begleiten wolle. Sibille wollte, und während der mehrere Stunden dauernden Behandlung hatten sie viel Zeit zum Reden. «Wir entdeckten viele Gemeinsamkeiten und dieselben Interessen.» Auch wenn es nicht direkt Liebe auf den ersten Blick war, faszinierte sie Joshs humorvolle und herzliche Art. «Ich fragte mich, wie man mit einer solch schlimmen Krankheit und nach mehreren Jahren des Leidens noch so positiv sein kann.» Sie trafen sich zwei weitere Male, es kam zum ersten Kuss, doch dann musste Josh zurück nach Neuseeland, und Sibille setzte ihre Reise in Australien fort. «Als wir Lebewohl sagten, war ich traurig und durcheinander.» Sie begannen, sich täglich zu schreiben und zu telefonieren.
Ein rascher Entscheid
Von da an ging es keine vier Wochen mehr, bis Sibille den Entschluss zum Auswandern gefasst hatte. «Entgegen meiner ursprünglichen Reisepläne verliess ich Australien nach kurzer Zeit wieder und ging für zwei Wochen zurück nach Neuseeland.» Genauer gesagt: nach Greymouth, dem Zuhause von Josh. Sie wohnte bei ihm, lernte seine Eltern und sein Leben kennen – und verliebte sich definitiv. «Ich war mir sicher, dass das Auswandern der richtige Weg ist, auch wenn ich damals noch keine Ahnung davon hatte, was dies wirklich bedeutet.» Und so brach sie sieben Monate später, kurz nach Weihnachten 2017, ihre Zelte in der Schweiz ab, verabschiedete sich von Familie und Freunden und wagte in Greymouth den Neuanfang.
Zumindest wäre dies der Plan gewesen, denn in Wirklichkeit verschlug es sie zuerst erneut nach Melbourne. Josh ging es gesundheitlich immer schlechter, und eine mehrwöchige Intensivtherapie wurde nötig. Für sie sei klar gewesen, dass sie ihn begleite, doch «es war ein harter Start», so Sibille Schmid. Sorgen um Josh und Heimweh plagten sie. Endlich in Neuseeland angekommen, holte sie die Realität erst recht ein. Da beide nicht arbeiten konnten, Josh aufgrund seiner Gesundheit, Sibille, da sie keine Arbeitsbewilligung hatte, mussten sie im ersten Jahr bei Joshs Eltern unterkommen. «Es war frustrierend, ich war es gewohnt, ein unabhängiges und selbständiges Leben zu führen.» Zudem war ihr Freund während dieser Zeit stark mit seinem Leiden beschäftigt und hatte wenig zusätzliche Ressourcen. «Es war eine schwierige Zeit für mich. Josh flog zwischen Neuseeland und Australien hin und her, und ich war oft alleine.» Greymouth sei zudem eine kleine, ländliche Gemeinde, in der es als Ausländerin nicht einfach sei, Kontakte zu knüpfen. Sie sei mehrmals kurz davor gewesen, alles abzubrechen und in die Schweiz zurückzukehren. «Es wäre definitiv der einfachere Weg gewesen.»
Angekommen, aber Heimweh bleibt
Der Wendepunkt kam, als sie im Juni 2019, fast eineinhalb Jahre nach dem Auswandern, ihren ersten Job als Pflegefachfrau im örtlichen Spital antreten konnte – in einem tollen Team, «das wie zu einer Familie für mich wurde». Auch Josh ging es zu dieser Zeit immer besser, und er konnte wieder arbeiten. Sie kauften ein Haus, das sie in den darauffolgenden Jahren selbst renovierten. Und in eben diesem war im März dieses Jahres Mona Vetsch mit ihrem Team zu Besuch. Während zwei Aufzeichnungstagen zeigte Sibille dem TV-Team ihre Wahlheimat, bei bester Stimmung und schönstem Wetter, wie sie betont. Denn selbstverständlich ist dies in Greymouth nicht, der Ort gehört zu den regenreichsten Gebieten der Erde.
Dort fühlt sich Sibille nach den anfänglichen Herausforderungen inzwischen wohl. «Das Heimweh holt mich zwar immer wieder ein, aber ich habe mir hier einen stabilen Freundeskreis aufbauen können.» Nicht zuletzt dank ihrer Tochter Maja, die 2022 zur Welt kam. «Auch wenn natürlich immer noch nicht alles einfach ist und die Herausforderungen bleiben, sind wir glücklich.» So oft wie möglich reist Sibille für einen Besuch in die Schweiz, letztmals kurz nach der Aufzeichnung mit Mona Vetsch im Frühling 2024. Josh kam Ende Juli dazu – den 1. August verbrachten sie in Sibilles altem Wohnort, in Henggart, bei der offiziellen 1.-August-Feier auf dem Guggenhürli.
Der Kampf ums Glück am anderen Ende der Welt