Weinland

«Die meisten schaffen ohne fremde Unterstützung den Rauchstopp»

Heute ist Weltnichtrauchertag. Kathrin Durscher von der Suchtberatung Andelfingen erklärt im Interview, dass ganz unterschiedliche Wege zum Ziel Nichtrauchen führen können.

von Interview: Silvia Müller
31. Mai 2024

Frau Durscher, wie viele Menschen wenden sich an die Suchtberatung im Zentrum Breitenstein, weil sie mit dem Rauchen aufhören möchten?
Kathrin Durscher: In den sechs Jahren meiner Arbeit hier hat sich tatsächlich noch niemand einzig wegen einer Nikotinsucht angemeldet. Verglichen mit anderen Abhängigkeiten ist beim Rauchen der Leidensdruck deutlich kleiner, weil wenige oder gar keine sozialen Folgen drohen. Wenn wir bei der Erfassung aller Suchtmittel danach fragen, ist die Antwort dann oft: ‹Ja, stimmt, Nikotin konsumiere ich auch.›

Und dann gehen Sie mit den Klientinnen und Klienten gleich alle Abhängigkeiten aufs Mal an?
Nein, unsere Suchtberatungsarbeit beruht auf einem psychotherapeutischen Ansatz und ist sogenannt zieloffen. Wir gehen nur jene Bereiche an, welche die Person selbst verändern möchte. Das kann diverse Substanzen gleichzeitig umfassen, muss aber nicht. Wir unterstützen nur, wir schreiben nichts vor.

Laut der Statistik des Bundes schafft jährlich jede sechste rauchende Person den Ausstieg, aber nur 20 Prozent gelingt es beim ersten Anlauf. Woran liegt das?
Das Suchtpotenzial von Tabak ist extrem hoch. 68 Prozent derjenigen, die jemals eine Zigarette bis zum Ende geraucht haben, werden im Lauf ihres Lebens nikotinsüchtig. Da in der Schweiz der soziale Druck klein ist, gilt diese Abhängigkeit als weniger problematisch als beispielsweise die von Alkohol, Medikamenten oder Drogen.

Seit 1997 ist der Tabakkonsum der Schweizer Bevölkerung von 33 Prozent auf inzwischen stagnierende 24 Prozent im Jahr 2022 gesunken. Doch in allen Nachbarländern ausser Frankreich liegt die Raucherrate bereits tiefer. Warum ist das so?
Die EU und weitere Länder haben die Werbung, die Verkaufsstellen und die Raucherzonen stärker reduziert und führen intensive Aufklärungskampagnen (siehe auch zweiter Zusatzkasten unten; Anm.d.Red.). Man muss aber genau hinschauen: Wo – wie im heute als fast rauchfrei geltenden Schweden – Nikotinprodukte wie E-Vapes und Snus den Rauchtabakmarkt ersetzt haben, ist das Problem nur verlagert. Die gesundheitlichen und sonstigen Folgen dieser neuen Produkte werden erst gerade erforscht.

Die Konsumenten von Vapes argumentieren, so werde ihre Lunge wenigstens von all den giftigen Begleitsubstanzen der Tabakverbrennung verschont. Die Angst vor gesundheitlichen Langzeitschäden ist wohl der stärkste Ansporn, mit dem Rauchen aufzuhören?
Erstaunlicherweise nicht! Wer raucht, betont oft, dass es Hundertjährige gibt, die ihr Leben lang gequalmt haben und Nichtraucher, die jung sterben. Einzig die Angst vor dem hypothetischen Krankwerden kann die Motivation zudem oft nicht über längere Zeit hochhalten. Kombiniert mit sofortigen oder kurzfristigen Belohnungen funktioniert das Aufhören viel besser. Wie der alte Motivationstrick, jeden Abend das gesparte Geld gut sichtbar ins Ferienkässeli zu werfen – solche Routinen erhöhen die Erfolgschance tatsächlich.

Wie argumentieren denn die Fachleute in den Suchtberatungen?
Subjektiv betrachtet hat der Griff zur Zigarette ja nicht nur Nachteile, sonst würde es niemand tun! Wir finden gemeinsam heraus, welches genau die individuell empfundenen Vorteile im Moment des Rauchens sind. Für viele bedeutet das Rauchen eine kleine Entspannung oder Belohnung, es verkürzt Wartezeiten oder markiert den gemütlichen Moment mit lieben Menschen. Das Beratungsgespräch erfasst die individuell erfahrenen Vor- und Nachteile des Rauchens und auch jene des Nicht-mehr-Rauchens. Für einen erfolgreichen Rauchstopp legt man dann den Fokus am besten auf die Vorteile des Nichtrauchens und darauf, wie die angenehm empfundenen Aspekte des Rauchens bewusst auf andere Weisen erreicht werden könnten. Solche «Ersatzbelohnungen» können höchst individuell ausfallen und müssen nicht grundsätzlich kalorienreich sein und zur Gewichtszunahme führen!

Kalter Entzug oder Therapiesitzungen? Wozu raten Sie?
Auch das ist individuell. Eines schönen Abends alle Zigaretten wegzuwerfen und ab dem nächsten Tag nicht mehr zu rauchen, ist prinzipiell immer noch eine sehr gute Methode, die für viele funktioniert. Der Nikotinentzug ist dabei aber nur das eine, und der ist nach drei bis vier Tagen ausgestanden. Aber die Entwöhnung, also die alte Gewohnheit nicht mehr zu vermissen, braucht sehr viel länger. Dies klappt besser, wenn man sich bewusst mit den Situationen befasst, in denen die Lust riesig wird. Dabei können Beratungen helfen.

Gehören kurze Ausrutscher oder echte Rückfälle also nicht zwangsläufig dazu?
Wir beobachten oft mehrere Rückfälle, aber irgendwann klappt es dauerhaft. Der Erfolg und seine Dauer können von der Lebenssituation abhängen, und die Entschlossenheit oder Motivation kann schon beim ersten Versuch ausreichen. Oder dann halt erst nach ein paar Teilerfolgen – so kann man Rückfälle ja auch interpretieren. Tatsache ist, dass die allermeisten es irgendwann ohne Unterstützung schaffen. Viele schwören auf Ratgeber­bücher. Andere lassen sich von einer App täglich ermuntern und erklären, was gerade im Körper und im Kopf abläuft, wie viel sie bereits gespart haben, wie weit sich der Körper bereits regeniert hat und so weiter. Manche Plattformen und Institutionen bieten Chatforen mit Betroffenen in der gleichen Situation, das kann helfen. In einigen Apps kann man sich sogar rund um die Uhr mit einem Avatar zum Thema austauschen. Falls der Erfolg trotz allem ausbleibt, gibt es in der Apotheke oder beim Arzt medikamentöse Unterstützung.

Weitere Informationen unter: www.stopsmoking.ch; www.lungenliga.ch;
www.bag.admin.ch; www.zh.ch/de/bildungsdirektion/amt-fuer-jugend-und-berufsberatung/zentrum-breitenstein/suchtberatung.html

Apothekerin Beatrix Peter.
Apothekerin Beatrix Peter. / Silvia Müller

«Seit es E-Zigaretten gibt, sinkt die Nachfrage nach Nikotinersatzprodukten»

Die Apothekerin Beatrix Peter (Bild) berät in Andelfingen Menschen, die mit einem Medikament oder Heilmittel den Rauchstopp schaffen möchten. Wer keinen abrupten Nikotinentzug möchte (siehe Interview oben), hat in der Wyland­apotheke zahlreiche Nikotin­ersatzprodukte zur Auswahl: Kaugummis, Sprays, Lutschtabletten, Inhaler und Depotpflaster erfüllen alle den gleichen Zweck. «Im Zweifelsfall versuche ich herauszufinden, ob die Person mit dem Rauchen eher den Mund oder die Hand beschäftigen will. Je nachdem sind dann Kaugummis oder Inhaler die bessere Wahl», erklärt sie.

Im Lauf ihrer Berufsjahre kam Beatrix Peter zum Schluss, dass die meisten Rauchstoppwilligen mit bis zu drei Rückfällen rechnen müssten, die Erfolgschance aber mit jedem Mal steige. «In der Apotheke gibt es nur Hilfsmittel. Wer ohne innere Überzeugung oder gar nur für den Arzt aufhört, wird es trotz diesen Produkten kaum durchhalten.»

Zur Beratung gehöre es, einen realistischen Fahrplan aufzuzeigen: In diesem Konzept solle das Nikotin so lange weiterhin zugeführt werden, bis die Person ihre Gewohnheiten umstellen konnte, bei denen sie früher automatisch zur Zigarette griff. «Je nach Fall empfehlen wir einen vollständigen Rauchstopp, gefolgt von der Reduktion der Ersatzprodukte innert dreier Monate. Oder sonst einen gleitenden Prozess, der bis zu zwölf Monate dauern kann.»

Andere Auswege gefunden

Diese Nikotinersatzprodukte seien schon immer ein vergleichsweise kleiner Markt gewesen. In den letzten Jahren sei die Nachfrage nun fast verschwunden: «Offenbar sind viele Raucher auf E-Zigaretten umgestiegen», vermutet Beatrix Peter. Falls diese nun die Nikotindosis reduzierten mit dem Ziel, letztlich auch keine E-Zigis mehr zu dampfen, sei das wohl gar nicht so schlecht: «Die Schadstoffe des Tabaks fallen schon mal weg. Welche Auswirkungen die Vapes ihrerseits haben, weiss man aber auch noch nicht.»

Teuer und selbst zu berappen sind alle Varianten: Die Grund- und die meisten Zusatzversicherungen bezahlen keine Nikotinersatzprodukte, auch nicht auf Rezept. Es gebe zwei weitere Wirkstoffe, die ärztlich verschrieben werden müssten, empfehlenswerter als Ersatznikotin seien sie aber nicht. «Manchen Menschen helfen auch pflanzliche und homöopathische Mittel beim Durchhalten.» (sm)

Schweiz weltweit Zweitletzte beim Jugendschutz vor Tabak

Bern: Zum heutigen Weltnichtrauchertag erinnern zahlreiche Organisationen daran, dass die Schweizer Politik die Tabakindustrie schützt und Kinder und Jugendliche dem Tabakmarketing aussetzt.

Der Einfluss der Tabakindustrie und der Schutz der Jugend hängen zusammen, schreibt zum Beispiel die Stif­tung «Sucht Schweiz». Gemäss dem globa­len Tabakindustrie-Lobby-Index (GTIII) mische sich die Tabakindustrie weltweit in nur einem Land stärker in die Tabakpolitik ein als in der Schweiz. Die Schweiz liegt in der aktuellen Rangliste zur Tabakpolitik der europäischen Länder auf dem zweitletzten Platz, beim Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakmarketing gar auf dem letzten. Nun leistet die Mehrheit im National- und Ständerat gar Widerstand gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Umsetzung der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak». «Sucht Schweiz» fordert die Politik auf, endlich die Jugend zu schützen.

Diese Altersgruppe ist besonders attraktiv für das Marketing für Tabak- und neue Nikotinprodukte wie E-Zigaretten und Mundtabak (Snus) – denn nach 21 Jahren fängt kaum mehr jemand mit dem Nikotinkonsum an. Diese Zielgruppe ist gleichzeitig besonders empfänglich: Seit der Pandemie und dem Ukrainekrieg greifen sogar in Ländern mit bisher guten Erfolgen beim Jugendkonsum wieder vermehrt junge Leute nach Zigaretten und Nikotinprodukten.

Grosser Einfluss der Tabakindustrie
Drei der weltgrössten Tabakkonzerne haben wichtige oder gar Hauptsitze in der Schweiz und stecken grosse Ressourcen ins Lobbying im Parlament und in der Verwaltung, wie «Sucht Schweiz» schreibt. Rund 30 Parlamentsmitglieder hätten indirekte und teilweise direkte Verbindungen zur Tabakindustrie, die mehrheitlich über Verbände wie Gewerbeverband oder Economiesuisse lobbyiere. Parteien würden mit grosszügigen Spenden eingedeckt, so die FDP und SVP mit je 35'000 Franken für den Wahlkampf 2023. Wirtschaftliche Partikularinteressen seien im Gesetzgebungsprozess aber nicht legitim, wenn sie auf Kosten der öffentlichen Gesundheit gingen und dem Bevölkerungswillen widersprächen.

Verstrickung mit Gesundheitswesen
Die Schweiz hat als eines der letzten Länder der Welt das WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs nicht ratifiziert, das die Werbung einschränken würde. Laut «Sucht Schweiz» öffne die Politik den Tabakkonzernen als Sponsoren sogar die Türen ins Gesundheitswesen, obwohl interne Dokumente zeigten, dass deren «Forschung» nicht dem Rauchstopp, sondern der Lancierung neuer Nikotinprodukte diente. (az)

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