Marc Fehlmann liebt die Arbeit mit den Hunden. Je nach Charakter braucht ein Tier unterschiedlich lange
Vertrauen! Und zwar blind. Einfach gesagt, doch die Umsetzung ist gar nicht so leicht. Dies hat die Schreibende bei einem Besuch bei der Stiftung Simpera in Flaach am eigenen Leib miterlebt. Denn dort lud sie Marc Fehlmann, Präsident der Organisation, auf einen Spaziergang der besonderen Art ein: Mit Blindenhündin Koala ging es über die Feldwege rund um den Spargelhof Gisler. Mit geschlossenen Augen, den Griff des Führgeschirrs mit drei Fingern der linken Hand umklammert, stets darauf bedacht, nicht zu verkrampft daran zu ziehen und dem Hund komplett die Führung zu überlassen. Nach mehreren Stolperern, Fehltritten und zögerlichen Richtungswechseln hatte sich die Journalistin etwas an den Rhythmus der Berner Sennenhündin gewöhnt und liess sich navigieren, vorbei an entgegenkommenden Autos, um Kurven und an herabhängenden Ästen vorbei.
Was für die Schreibende ein ungewohntes Gefühl war, ist für Marc Fehlmann Alltag. Mit seiner Sehbehinderung setzt er unter anderem auf die Unterstützung von Blindenführhunden und bildet diese seit rund 20 Jahren auch selbst aus. «Mein Herzblut und meine Leidenschaft liegen in der Ausbildung dieser Tiere, das macht mir Freude und gibt mir viel», so der 47-Jährige. «Da bin ich in meinem Element.»
Diese Leidenschaft ist spürbar. Aufgebaut hat er die Stiftung Simpera vor gut eineinhalb Jahren, ausgebildet werden neben Blindenführ- auch Assistenz- und Autismusbegleithunde sowie Therapiebegleithunde. Bei Simpera sind neben Labradoren, den typischen Servicehunden, vor allem Berner Sennenhunde in der Ausbildung. Diese bräuchten in der Regel zwar etwas länger, aber dafür seien sie nachher ebenso verlässlich. «Bei dieser verschmusten Rasse, welche aus der Hütehundefamilie stammt und daher extrem gerne mit dem Menschen zusammenarbeitet, steht ihr Besitzer, ihre Besitzerin noch einmal mehr im Fokus. Diese Eigenschaften kommen uns in der Ausbildung und der Arbeit massiv zugut», erklärt Marc Fehlmann. Bei der Ausbildung werde individuell auf die Entwicklung der einzelnen Tiere geachtet und in ihrem Tempo trainiert. «Sie sollen, müssen und dürfen trotz ihrer verantwortungsvollen Arbeit Hunde bleiben», sagt er. Das dürfe nicht vergessen gehen. Schlussendlich sei das Wichtigste, dass die Tiere Freude an ihrem Job haben.
Bindungsthematik nicht vergessen
Als einzige Institution in der Schweiz bietet Simpera zwei Ausbildungsprogramme an. Zum einen das klassische, bei dem der Hund erst bei einem sogenannten Paten, einem Freiwilligen, aufwächst und dort sozialisiert wird. Nach etwa zwölf Monaten kommt er zu einem Ausbildner, der ihn während rund sechs bis neun Monaten für seinen zukünftigen Partner ausbildet. Ab der Platzierung im Alter von etwa zwei Jahren wird er sein neues Frauchen oder Herrchen im Alltag unterstützen.
«Dieses Konzept funktioniert, aber es entspricht nicht ganz dem Naturell des Hundes», erklärt Marc Fehlmann, der neben seiner Tätigkeit als Hundeausbildner Mitglied der Schweizer Fachkommission «hindernisfreie Architektur» ist und Integrationsförderung betreibt. Der Hauptgedanke hinter diesem Konzept sei vor allem die Bindungsthematik. «Ein Hund ist einer, der sucht sein Rudel, braucht es und will dieses auch behalten.» Aus diesem Grund habe er 2005 das zweite Programm erarbeitet und lanciert, die sogenannte Selbstausbildung (siehe Kasten).
Ein Vorteil der Selbstausbildung sei, dass der Hund nur das lerne, was sein Besitzer, seine Besitzerin auch effektiv brauche. «Wenn jemand immer steht im Zug, braucht er keinen Hund, der ihm einen Sitzplatz sucht. Oder eine ältere Frau mit Bewegungseinschränkung braucht einen Hund, der ihr auf dem Weg zum Einkaufen hilft. Es ist sehr wichtig, dass der Hund zum Menschen mit seiner jeweiligen Einschränkung und seinem Leben passt», erklärt Marc Fehlmann. Um ein sicheres und harmonisches Gespann zu werden, benötigt es viel Zeit und Vertrauen.
Brücken zur Gesellschaft
«Für mich ist ein solcher Hund Selbsthilfe, Inklusion und Lebensqualität – ein Partner, der dir als Betroffener hilft, Teilnehmender der Gesellschaft zu sein», so Marc Fehlmann. Blindenführ-, Assistenz- und Autismusbegleithunde seien kein Ersatz für soziale Interaktionen, aber Brückenbauer zur Gesellschaft. Dieser soziale Aspekt sei, neben der Unterstützung im Alltag, nicht zu unterschätzen. «Mit einem Hund stehe nicht ich mit meiner Einschränkung im Fokus, sondern der Begleiter.» Das sei eine enorme Hilfe, um nach einem Schicksalsschlag oder Ähnlichem wieder Fuss zu fassen und sich in die Welt hinauszutrauen und mit ihr zu interagieren.
Mehr Rücksicht gewünscht
Umso wichtiger sei es, dass diese «Hilfsmittel», wie die Hunde technisch gesehen genannt werden, in der Gesellschaft nicht nur akzeptiert, sondern auch unterstützt würden. «Für die Tiere ist diese Arbeit eine Herausforderung: Hunde sind bodenorientiert, als Blindenführhund müssen sie aber in anderen Dimensionen denken und auch in schwierigen Situationen selbst Entscheidungen treffen können», führt Marc Fehlmann aus. Dabei sei es wichtig, sie nicht abzulenken oder zu behindern. «Ich habe auch Mühe, an einer Erdbeertorte vorbeizulaufen, ohne zu probieren. Da bin ich ebenfalls froh, nicht noch mehr abgelenkt zu werden», meint der zugezogene Berner lachend.
Wer einem Servicehund begegne, solle sich dessen bewusst sein und entsprechend Rücksicht nehmen. «Wenn der Hund im Führgeschirr oder der Kenndecke ist, ist er bei der Arbeit. Da sind wir dankbar, wenn sie dabei lediglich bestaunt werden, denn durch Zurufen oder Streicheln werden sie abgelenkt, und es kann zu gefährlichen Situationen kommen», betont er.
Da wünsche er sich noch mehr Bewusstsein in der Gesellschaft. Dies solle zum Beispiel Kindern schon früh beigebracht werden, auch hinsichtlich der Sicherheit der Betroffenen, die sich auf den Hund verlassen. «Es soll ja so sein, dass der Hund Brücken baut, aber es gibt einfach Spielregeln», so Marc Fehlmann. Aber wenn diese eingehalten würden, sei allen geholfen: dem Hund bei seinem Job, der ihm auf diese Weise auch Spass mache, sowie den Betroffenen, die so ihren Weg in der Gesellschaft finden könnten.
Mehr Infos unter: www.simpera.ch
«Hunde leisten mehr, wenn sie bereits als Welpe bei ihrer Person mit Einschränkung aufwachsen»
Bei der Selbstausbildung wird der Hund bereits als Welpe an seinem Bestimmungsort platziert und dort vom Halter, der Halterin unter Anleitung der Stiftung Simpera selbst ausgebildet. «Dafür braucht es eine gute Portion Selbstdisziplin, Selbstkontrolle und vor allem auch die Kapazität und Möglichkeit, den Hund von Grund auf selbst ausbilden zu wollen», so Marc Fehlmann.
Das Selbstausbildungsprogramm ist leider aufgrund der Einschränkung nicht für jeden Interessenten geeignet. Bei einer blinden alleinlebenden Person beispielsweise ist es schwierig, einen Welpen, der eventuell noch nicht stubenrein ist, in die Selbstausbildung abzugeben. Das muss aber nicht heissen, dass es nicht klappt, den Hund mithilfe der Stiftung Simpera selbst ausbilden zu können, erklärt Marc Fehlmann. «Es müssen in jedem Fall intensive Vorabklärungen getroffen werden.»
Aus seiner eigenen Beeinträchtigung heraus hat er erleben dürfen, dass Hunde sehr viel mehr leisten und mehr Bereitschaft zeigen, wenn sie bereits als Welpe bei ihrer Person mit Einschränkung aufwachsen können. «Das aus dem einfachen Grund heraus, weil es für sie von klein an einfach normal ist», führt er aus.
Instinktives Lernen als Ziel
Bei der Ausbildung der Blindenführhunde merke man, ob ein sehender oder sehbehinderter Mensch den Hund trainiere. Sehende sähen beim Training die Bordsteinkante und könnten darauf reagieren, verkrampften sich eventuell oder kämen dem Hund zuvor. So lerne dieser nicht, natürlich stehen zu bleiben. «Da ich selber mit dem Blindenstock die Kante ertaste, lernt der Hund spielerisch, diese dann auch wahrzunehmen, stehen zu bleiben und anzuzeigen», führt er aus.
Mit einer Sehbehinderung Hunde zu trainieren, sei unglaublich anspruchsvoll und intuitiv. Marc Fehlmann kommt dabei sein langjähriges Zusammenleben und Arbeiten mit Hunden zugute. «Ich durfte viel von ihnen lernen, und vielleicht denke und handle ich schon manchmal hündisch», sagt Marc Fehlmann verschmitzt. Instinktives Lernen sei das Ziel und mache es dem Hund auch leichter, seine Aufgaben wahrzunehmen. (jbe)
«Ein Hund ist ein Brückenbauer»