Weinland

Ein Paradies schaffen

Die Natur beobachten und nachahmen: Das ist Permakultur. Anhand von zwölf Gestaltungskriterien entsteht ein in sich funktionierendes Ökosystem, das die Biodiversität fördert und dennoch Ertrag gibt. Ein Augenschein in Rhein­au.

von Bettina Schmid
15. August 2023

Sechs Hühner leben im Garten der Sozialtherapie der Stiftung Fintan in Rhein­au. Hahn Hanspeter scharrt gerade im Kompost und pickt dabei nach Larven. Die Tiere haben hier verschiedene Aufgaben: Sie legen Eier, fressen Schädlinge und Beikräuter (Unkraut gibt es im Permakulturgarten nicht) oder graben eben Erde um, welche dadurch homogen wird. «Unsere biologischen Mitarbeitenden helfen uns bei der Pflege des Gartens», sagt Stephan Bertschinger. So auch die sechs indischen Laufenten, welche Schnecke um Schnecke fressen. Der gelernte Landwirt und Arbeitsagoge leitet die Arbeitsgruppe PDG und Rebbau der Sozialtherapie der Stiftung Fintan, welche sich auf dem Gelände des Klosters Rhein­au befindet.

Vor acht Jahren ist er über eine Fernsehsendung auf das System der Permakultur gestossen, und «es hat mich sofort fasziniert». Es sei ein tolles, nachhaltiges Konzept, bei dem die Biodiversität nicht nur erhalten, sondern gefördert werde und Ressourcen geschont würden. «Permakultur bedeutet, einen möglichst grossen Ertrag zu erreichen mit möglichst wenig Ener­gie­­.» Alle Elemente, ob pflanzliche, tierische oder menschliche, würden verschiedene Aufgaben erfüllen. Oder wie Begründer David Holmgren es kurz zusammenfasst: «Permakultur ist: bewusst gestaltete Landschaften, die die Muster und Beziehungen in der Natur imitieren und dabei eine Fülle von Nahrungsmitteln, Fasern und Ener­gie­ für lokale Bedürfnisse bereitstellen.»

Mit Waldgarten angefangen
Inspiriert von diesem vielseitigen Konzept hat die Sozialtherapie Fintan 2015 als ersten Schritt auf einer ehemaligen Schafweide direkt am Rheinufer, die zum Pachtland von Gut Rhein­au GmbH gehört, einen Waldgarten angelegt, Pilze gezüchtet, verschiedene Obstbäume gepflanzt sowie einen Kräutergarten angelegt. «Alles soll sich hier gegenseitig ergänzen.»

So stehen etwa Ölweiden neben Apfelbäumen, denn Erstere verteilen Stickstoff über die Wurzeln – ein natürlicher Dünger, der ideale Bedingungen für andere Pflanzen bietet. Zudem gäben sie die feinsten Beeren überhaupt. «Ich kenne keine Konfi, die so gut schmeckt.»

Denn auch dies gehört zur Permakultur: sich zu überlegen, was mit dem Geernteten geschehen soll. «Wir trocknen etwa die Kräuter und stellen daraus Tee her, machen Kräutersalze oder verwerten die Pilze und Beeren in der Küche für unsere täglichen Mahlzeiten.»

Auf 2500 Quadratmeter vergrössert
Inzwischen ist zusätzlich zum Waldgarten ein weiteres, rund 2500 Quadratmeter grosses Gebiet rund um das Gästehaus am Klosterplatz in Rhein­au von der «Permadynamischen Gartengruppe» der Sozialtherapie nach Permakultur umgestaltet worden.

Wer den Garten betritt, muss sich etwas Zeit nehmen, um alles anzuschauen und in die verschiedenen Details einzutauchen. Anders als in einem herkömmlichen Garten ist dieser sehr naturnah gestaltet. Monokulturen gibt es nicht. Überall befinden sich kleine Beete, eine Zucchetti wächst scheinbar zufällig im Rasen, unter Haselbäumen stehen Baumstämme zur Pilzzucht, und Hecken wechseln sich, so könnte man meinen, wild mit Obstbäumen ab. Doch der erste Eindruck täuscht: Alles wurde genau geplant – anhand der zwölf Permakultur-Prinzipien nach David Holmgren.

Ausprobieren und dazulernen
Dazu gehören etwa «Beobachte und handle», «Sammle und speichere Ener­gie­­», «Wende Selbstregulierung an und lerne aus dem Feedback», «Gestalte Muster, dann Details» oder «Setze auf kleine, langsame Lösungen». Denn was schnell wächst, etwa mit künstlichem Dünger, ist anfällig für Krankheiten. Wird alles anhand dieser Kriterien gut überlegt und geplant, ergibt sich ein autarkes Ökosystem.

Im Garten der Sozialtherapie ist man nach gut zweieinhalb Jahren Arbeit noch nicht ganz am Endziel angelangt. «Wir probieren immer noch aus, ändern, wo nötig, etwas und legen neue Flächen an.» Manchmal funktioniere etwas nicht, dann würden sie genau beobachten, Erkenntnisse sammeln und daraus lernen.

Auch Dinge selbst zu bauen, etwas gemeinsam zu erschaffen, gehöre bei ihnen dazu. Wie etwa kürzlich einen neuen Hühnerstall oder den Wurmkompost. «In einer alten Badewanne haben wir Würmer angesiedelt, die nun für ganz speziellen, wertvollen Kompost sorgen und dazu sogenannten Wurmtee liefern.» Ein Sekret, das viele gute Bakterien enthält, und so das Bodenleben anreichert. Momentan seien sie zudem gerade an der Planung einer Regen-Bewässerungsanlage.

Einführungskurs empfohlen
«Der Permakultur-Garten lebt von der Veränderung und kann immer weiterentwickelt werden», so Stephan Bertschinger. Das System könne zudem überall angewendet werden, von ganzen Stadtteilen über kleine und grosse Gärten bis hin zu einem Balkon. «Die Prinzipien sind übergeordnet und passen sich den jeweiligen Bedürfnissen und Zielen an.» Bei ihnen sei dies gewesen, die Biodiversität zu fördern, Erträge zu erwirtschaften und nicht zuletzt den 16 Mitarbeitenden mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen an einem geschützten Arbeits­platz sinnvolle Aufgaben geben zu können. Er ist überzeugt: «Wenn viele Gärten anhand von Permakultur gestaltet wären, wären viele unserer Umweltprobleme gelöst.»

Wer nun selbst in seinem Garten oder auf seinem Balkon Permakultur ausprobieren
und in das Thema eintauchen will, dem empfiehlt Stephan Bertschinger, einen Einführungskurs zu absolvieren. Kurse können an verschiedenen Orten besucht werden, führen in das Konzept ein und dauern ein bis zwei Tage. Anschliessend laufe vieles über «Learning bei doing».

Mehr Infos zu Permakultur

Welt der Gärten

Es gibt sie in allen Formen, sie werden leidenschaftlich umsorgt, damit sie erblühen und gedeihen: die Gärten. Über den Sommer wirft die Redaktion einen Blick hinein. (az)

War dieser Artikel lesenswert?

Zur Startseite

Zeitung Online lesen Zum E-Paper

Folgen Sie uns