Weinland

Ein Schalter, der angeblich nicht rentierte

Die SBB schliesst ihren letzten Verkaufsstandort im ganzen Bezirk. Kundinnen und Kunden sind frustriert, der Konzern zeigt alternative Angebote auf.

von Christina Schaffner, Jan Wattenhofer, Roland Spalinger, Tizian Schöni
09. August 2024

Sie brauche am Schalter eigentlich nur Billette für den Bus, sagt Erika Waser, während sie vor dem Bahnhofsgebäude auf den Bus wartet. Aber sie sei trotzdem froh, wenn es noch einen Schalter gebe. Der Billettkauf über digitale Geräte oder Automaten falle ihr schwer – auch, weil sie nicht mehr gut sehe.

Kundinnen wie Erika Waser scheint es laut SBB jedoch immer weniger zu geben, obwohl sich in der Schalterhalle am Mittwochmorgen eine Warteschlange bildet und «Älter werden im Weinland» das Gesprächsthema im ganzen Bezirk ist. Man reagiere mit der Schlies­sung Anfang 2025 auf die abnehmende Nachfrage im Reisezentrum, hiess es in der Medienmitteilung. Gegenüber der «Andelfinger Zeitung» will die SBB zur Anzahl Kundeninteraktionen, dem Umsatz des Schalters oder den Kosten keine Auskunft geben. «Dazu machen wir keine Angaben, besten Dank für Ihr Verständnis.» Auch ein Interview mit den Verantwortlichen lehnt das Unternehmen ab. Fragen könnten stattdessen schriftlich eingereicht werden.

20-Minuten-Vorgabe erreicht
Die Schliessung der insgesamt sechs Standorte im Kanton sei mit dem Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) abgesprochen, hiess es in der Mitteilung der SBB. Grundsätzlich liege es im unternehmerischen Ermessen der Bundesbahn, wie sie ihre Leistungen erbringe und auch, wo sie weiterhin bediente Reisezentren betreibe, sagt eine ZVV-Sprecherin auf Anfrage. Die SBB halte sich dabei aber an die vom Kantonsrat beschlossenen Vorgaben.

Diese wurden erst im vergangenen März verabschiedet, inklusive eines angenommenen Minderheitsantrags. Dieser verlangte, dass bediente Verkaufsstellen von 90 Prozent der Kantonsbevölkerung innert 20 Minuten zu Fuss oder per ÖV erreichbar sein müssen. Anscheinend wird diese Vorgabe auch ohne die sechs Schalter in Andelfingen, Bauma, Bubikon, Dielsdorf, Pfäffikon und Wald erfüllt.

Einige Kundinnen und Kunden verlies­sen sich bisher auf den Schalter, weil es einfach war oder sie den persönlichen Austausch schätzten. Andere buchten dort aber Dienstleistungen, die auf anderen Kanälen kaum zu bekommen sind. Zum Beispiel Gruppenbillette.

Gruppenbillete: Schwierig
Laut René Rickli, dem Koordinator der Andelfinger Seniorenwanderungen, habe es sich seit über 30 Jahren bewährt, dass die Wanderleiterin oder der Wanderleiter die Tickets für die Ausflüge alle zwei Wochen besorge. Das sei zwar aufwendig, habe aber auch Sicherheit gegeben, dass alle Reisenden mit dem richtigen Ticket unterwegs waren. Mit der Schliessung des Schalters wird nun vieles anders.

«Muss ich nun zwei Mal nach Winterthur?», fragt sich Wanderleiterin Anni Schelker. Ihr erster Besuch am SBB-Schalter in Andelfingen dient jeweils der Vorbereitung: Hat sie für die gewählte Route die richtigen Verbindungen gewählt, stimmen die Einsteige- und Umsteigeorte, und können für die Züge Reservationen gemacht werden? Beim zweiten Mal etwa drei Tage vor der Reise holt sie das vorbestellte Gruppenbillett ab.

Emil Bühler, ebenfalls Wanderleiter, aber mit 44-jähriger beruflicher SBB-Vergangenheit, sieht ebenfalls Nachteile ohne Schalter. Auch er nutzt die nahe Möglichkeit für die Planung und weiss deren Vorzüge zu schätzen. Er hat aber Verständnis für wirtschaftliche Schritte seiner ehemaligen Arbeitgeberin. Weil sich solche Entwicklungen nicht aufhalten liessen, will er im Kreis der Seniorenwanderungen Lösungen suchen. Bis jetzt habe er noch nie online ein Gruppenbillett gelöst, das sollte aber gehen, meint er. Schwierigkeiten sieht er bei den Platzreservierungen.

Auch Iris Eichenberger ist überrascht von der Schliessung des Bahnschalters. Für das Frauenturnen Dorf, bei dem sie Stunden leitet und auch im Vorstand amtet, nutzte sie den Andelfinger Schalter gern, um die jährliche Turnfahrt zu planen. «Es ist sehr praktisch, man kann miteinander reden, Unklarheiten klären und die Tickets dann ein, zwei Tage vorher abholen.» Da sich die Anzahl der Teilnehmerinnen oft kurzfristig ändere, wisse sie den Service zu schätzen, meint die 59-Jährige. Wie sie das zukünftig lösen werde, wisse sie noch nicht. «Ich bin nicht der Online-Typ, und ob das auch telefonisch funktioniert, ist fraglich.»

Ein Test dieser Redaktion mit einer Buchung für 20 Personen nach Andermatt scheitert jedenfalls am Online-Tool. Denn die Buchungen für Gruppen sind nur bei Verbindungen ohne Bewilligungspflicht und ausreichendem Platzangebot möglich. Die SBB verweist stattdessen auf die Buchung per Telefon.

Hilfe der SBB über die Gemeinden
«Ich bin nicht begeistert», sagt Ursula Herti aus Trüllikon, die gerade vom Schalterbesuch kommt. Nicht alle Menschen seien digital so versiert – sie auch nicht. Sie verstehe, dass nicht überall ein Schalter sein könne. Trotzdem: «Wo sollen wir nun unsere Billette beziehen?»

Die SBB beteuert auf Anfrage, dass man sich um Kundinnen und Kunden kümmere, die im Umgang mit selbstbedienten Kanälen noch nicht geübt seien. So bietet das Unternehmen gemeinsam mit Partnerorganisationen Schulungen für die Billettbestellung über das Smartphone an. Und: «Für die von einer Umwandlung betroffenen Standorte gibt es die Möglichkeit, dass Mitarbeitende spezifische Schulungen für die Bevölkerung anbieten», schreibt die SBB-Sprecherin. Das Bedürfnis werde in den nächsten Wochen mit den betroffenen Gemeinden geprüft. Kundinnen und Kunden würden vor Ort informiert, wenn allfällige Schulungsdaten bekannt seien.

Die letzte Sanierung der Thurbrücke – hier von der nördlichen Widerlager-Seite zu sehen – fand 1985 statt. Damals wurde der mittlere Pfeiler von der Thur unterspült und musste neu stabilisiert werden.
Die letzte Sanierung der Thurbrücke – hier von der nördlichen Widerlager-Seite zu sehen – fand 1985 statt. Damals wurde der mittlere Pfeiler von der Thur unterspült und musste neu stabilisiert werden. / Roland Spalinger

Thurbrücke für weitere 100 Jahre sicher

Region: Die SBB erneuert seit Anfang Juli nicht nur die kompletten Gleise zwischen Mar­tha­len und Dachsen. Sie nutzte die dafür nötige Streckensperrung auch zur Sanierung der knapp 170 Jahre alten Thurbrücke.

Bald fahren keine Ersatzbusse mehr, sondern wieder die Züge. Nach fünf Wochen schliesst die SBB am Montag die Fahrbahnerneuerung zwischen Mar­tha­len und Dachsen ab. Zeitgleich ersetzte die SBB die Wegunterführung Schiterberg und sanierte die Thurbrücke bei Andelfingen.

Bei den Arbeiten an der 135 Meter langen Thurbrücke handle es sich um Erhaltungsmassnahmen am südlichen Widerlager, wie SBB-Mediensprecher Reto Schärli auf Anfrage sagt. Als Unterbau bilden die Widerlager die Verbindung zwischen der eigentlichen Brücke und dem Gelände. Es mussten laut Reto Schärli der bestehende Riss in der Flügelmauer und die Staunässe im Kalksteinmauerwerk behoben werden.

Dafür wurden der Schottertrog aus Beton neu erstellt, die Widerlagerwände rückseitig verstärkt und das Mauerwerk im Bereich des Risses erneuert. «Nach Abschluss dieser Sanierungsarbeiten ist die Trag- und Betriebssicherheit der Thurbrücke wieder für rund 100 Jahre sichergestellt», sagt Reto Schärli.

Gebaut wegen Schaffhausen
Als Teil der Rheinfallbahn, die Winterthur und Schaffhausen verbinden sollte, wurde die Thurbrücke in den Jahren 1856 und 1857 errichtet. Nach Abschluss der Bauarbeiten wurde die Strecke noch im selben Jahr eröffnet. Dies verbesserte die Postverbindungen im Bezirk Andelfingen erheblich.

4,4 Millionen Franken kostete die Bahnlinie damals. Schaffhausen hatte ein enormes Interesse an der Verbindung gehabt. Ein provisorisches Komitee aus Schaffhauser Bürgern hatte der Zürcher Regierung ein Gesuch für den Bau der Rheinfallbahn eingereicht.

Brückentausch in einer Nacht
Ein halbes Jahrhundert waren Züge sicher über die Thurbrücke und über den namensgebenden Fluss gefahren. 1906 musste die Brücke jedoch ersetzt werden – in einer einzigen Nacht. In den dunklen Stunden vom 14. auf den 15. August wurde die neue Brücke neben der alten auf einem hölzernen Steg montiert. Anschliessend löste man die alte Brücke, verschob sie auf einen zweiten Steg und versetzte die neue an die korrekte Stelle. Das alles, weil der Verkehr keinen Unterbruch erfahren durfte. Schon der allererste Frühzug konnte über die neue Thurbrücke fahren. (jwa)

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