Initianten machen politischen Druck auf allen Ebenen
Region: In den Gemeinden Altikon, Dägerlen, Rickenbach und Thalheim sind Einzelinitiativen eingegangen. Sie fordern für Windanlagen einen Mindestabstand von bis zu 1000 Metern zu bewohnten Gebäuden.
An der Gemeindeversammlung Ende Juni sprach der Gemeinderat noch von drei «Anfragen». Mitte Oktober beÂrichtete der «Landbote» bereits von drei IniÂtiativen: In Altikon machen sich Einzelpersonen gegen die geplanten Potenzialgebiete fĂĽr Windenergie im Kanton ZĂĽrich (siehe Text unten) stark. Die Initiantinnen und Initianten fordern grössere Mindestabstände zu bewohnten Gebäuden, konkret zwischen 850 und 1000 Metern. Der Kanton sieht Abstände von 300 bis 700 Metern vor.
Damit ist Altikon nicht alleine. Auch in Dägerlen, Thalheim an der Thur und Rickenbach sind bisher Einzelinitiativen eingegangen. In Dägerlen wurde der Gemeinderat schon an der Versammlung im Juni damit beauftragt, sich gegen Windanlagen auf Gemeindegebiet einzusetzen. Am 23. November werden die Bürgerinnen und Bürger nun über die Initiative von Katrin Cryer abstimmen. Sie fordert einen Mindestabstand von 1000 Metern für Windanlagen, die höher als 30 Meter sind. Die Initiantin hatte mit der Liste «Aufrecht Zürich» für den Nationalrat kandidiert. Genau wie Jacqueline Gutknecht, die in Thalheim an der Thur eine Einzelinitiative lanciert hat. Bereits am 7. August hatte sie die Initiative dem Gemeinderat eingereicht. Laut dem Gesetz über politische Rechte müsste das Anliegen an der nächsten Versammlung behandelt werden. Laut des Protokolls der Gemeinderatssitzung, das der «Andelfinger Zeitung» vorliegt, prüfe der Gemeinderat, ob er einen Gegenvorschlag unterbreiten wolle. Deshalb, so argumentiert er, könne über die Initiative selbst noch nicht an der Versammlung vom 7. Dezember abgestimmt werden. In Wildberg und Hagenbuch wurden ähnliche Anliegen mit sehr deutlicher Mehrheit beschlossen. Fraglich ist allerdings, ob sie auch etwas nützen werden. Denn die Bauordnung der Gemeinde gilt in der Regel für ihre Bauzonen. Die Windanlagen allerdings lägen erstens ausserhalb dieser Zonen, und zweitens wären sie, ähnlich wie zum Beispiel Kantonsstrassen, vermutlich von übergeordnetem Interesse. Dort hätte die Gemeinde nur noch bedingt Mitspracherecht (siehe Text unten).
In ĂĽber 25 Gemeinden seien schon Initiativen eingereicht worden, die grösÂsere Mindestabstände forderten, sagte Martin Maletinsky an der Veranstaltung der «IG Gegenwind» (siehe Text oben). Sein eigener Verein, «Freie Landschaft ZĂĽrich», sieht sich als Dachorganisation der verschiedenen Ortsgruppierungen. Mindestens vier Vereine seien auf lokaler Ebene bereits gegrĂĽndet worden.
Bund unter Beschuss
Auf Bundesebene hat der Nationalrat Ende September den Mantelerlass Strom beschlossen, der den Bau von Windanlagen durch verschiedene Gesetzesänderungen beschleunigen soll. Windräder könnten so teilweise gar zu Objekten von «nationalem Interesse» werden. Ein Referendum dagegen ist bereits geplant, am Anlass der «IG Gegenwind» wurden dafür Unterschriften gesammelt. Auch eine Volksinitiative zu einem schweizweiten Verbot von Windanlagen ist unterwegs – einer der Initianten warb am Anlass im Löwensaal dafür. (tz)
«Ich habe geschaut: Wo in Europa gibt es keinen Wind? So kam ich in die Schweiz», sagte Bert Hohenwarter, der erste der beiden Redner des Abends. Der Unternehmensberater und Agronom war von der «IG Gegenwind» eingeladen worden, um der hiesigen Bevölkerung seine Erfahrungen mit der Windenergie in seiner Heimat, den Niederlanden, weiterzugeben. Die Referate waren gut besucht – fast 200 Personen füllten den Löwensaal in Andelfingen.
Die IG, ein «Verein in Entstehung», wie die Moderatorin Katrin Cryer aus Berg (Dägerlen) sagte, setzt sich in den Gemeinden Altikon, Andelfingen, Dägerlen, Dinhard, Rickenbach und Thalheim gegen die vom Kanton in der Umgebung möglichen WindenergieÂstandorte ein. Mitglieder sind einerseits Initiantinnen und Initianten der Einzelinitiativen gegen Windkraft auf Gemeindeebene (siehe Text unten), grundsätzlich kann sich aber jede und jeder der Gruppierung anschliessen.
Erfahrungen aus Holland
Der Name der «IG Gegenwind» war denn auch Programm: In beiden Referaten wurden mal grössere, mal kleinere Nachteile der Windenergie erwähnt. Bert Hohenwarter zeigte eindrückliche Bilder aus seiner Heimat, wo die rund 200 Meter hohen Anlagen bereits zahlreich vorhanden sind. Die Niederlande erzeugen heute ungefähr 15 Prozent ihres Energiebedarfs mit Windanlagen, Windparks stehen dort sowohl vor der Küste als auch auf dem vielerorts flachen Land. Der Agronom nannte die bekannten Argumente gegen die Windkraft: die diversen Einflüsse auf die Umwelt, den Schattenwurf, den Lärm der Anlagen und den Ressourcenverbrauch. Auch die Einspeisung ins Netz, die bei Windanlagen ein nicht unwesentliches Problem darstellt, kam zur Sprache. Da die Turbinen nur dann Strom produzieren, wenn es auch windet, speisen sie punktuell Energie ins Netz. Um die Zeiten auszugleichen, in denen sich die Rotoren nicht drehen, müssen andere Stromquellen einspringen, um die Spannung im Netz aufrechtzuerhalten.
Einige Schilderungen des Niederländers stiessen bei den Besucherinnen und Besuchern jedoch auf spürbare Skepsis – zum Beispiel die Behauptung, dass der Zuckerrübenertrag auf seinen Feldern um 30 Prozent zurückgegangen sei, seit auf seinem Land Windanlagen stünden. Auch berichtete er von einem «tiefen Energielevel», das er empfinde, wenn er sich nur schon auf zwanzig Kilometer einer Windanlage nähere.
«Eine Güterabwägung»
Der zweite Redner ging die Dinge nüchterner und mit Bezug auf die Schweiz an. Martin Maletinsky hat Mathematik an der ETH studiert und arbeitet als Softwareentwickler. Erfolgreich hat er sich bereits gegen die ZKB-Seilbahn über den Zürichsee gewehrt. Gegen Windanlagen kämpft er im Verein «Freie Landschaft Zürich», den er präsidiert.
«Für mich ist es eine Güterabwägung», sagte er einleitend. Was dann folgte, war eine Abwägung, die Maletinsky für die Zuhörenden längst vorbereitet hatte. Der Kanton Zürich trage viele Zentrumslasten. In ihm läge zum Beispiel der Flughafen und zukünftig das Tiefenlager. Dies rechtfertige es, einen grösseren Teil des Stromverbrauchs ausserkantonal zu beziehen. Er verglich die Energieproduktion des Wasserkraftwerks Rheinau mit derer von Windanlagen. 35 Stück müssten aufgestellt werden, um dieselbe Energiemenge zu liefern. Andererseits: Ein Flusskraftwerksbau ist ebenfalls ein schwerwiegender – und heute vermutlich kaum mehr umzusetzender – Eingriff in die Umwelt. Die «Andelfinger Zeitung» berichtete mehrmals über die Folgen der geringen Restwassermengen in der Rheinschleife (14.2.2023, 21.7.2023). Er zeigte Videos von stroboskopartigen Schattenwürfen der Rotoren auf Gebäude, Felder und Wälder. «So eine Disco könnten Sie bald zu Hause haben», sagte Martin Maletinsky. Und sagte nicht, dass eine solche Beschattungszeit zum Beispiel im Nachbarland Deutschland maximal acht Stunden pro Jahr betragen darf. Er relativierte das Argument, dass der Wind besonders im Winter weht – wenn die Wasserkraftwerke weniger Energie liefern und die Einspeisungen von Photovoltaik ins Netz tief sind. Und als er einen Bericht des SWR zeige, in dem Personen interviewt werden, die in der Nähe eines Windparks wohnen und angeblich mit Lärmproblemen zu kämpfen haben, pausierte er in dem Moment, in dem der Betreiber zu Wort kommen würde. Dieser beteuert im Video, mehrfach externe Gutachten erstellt zu haben, die alle die Einhaltung der nötigen Grenzwerte bestätigten.
Massiver Eingriff in die Landschaft
Trotzdem: Der Softwareingenieur blieb seinen Zahlen treu und relativierte, wo er spekulieren musste. Klar ist, dass Windanlagen und ihre Peripherie einen weiteren Eingriff in zum Teil sensible Ökosysteme bedeuten werden. Grosse Teile der ausbedungenen Potenzialgebiete liegen im Wald. Und laut einem Modell der Axpo, dem die Planungen des Kantons zugrunde liegen, wird die eigene Windkraft 2050 nur sieben Prozent des Strommixes im Kanton ausmachen. Dass sie diese «Landschaftsentstellung», wie Martin Maletinsky es nannte, nicht rechtfertigen, darüber waren sich die Anwesenden einig – fast. Unter den Skeptikerinnen und Skeptikern befanden sich auch einige wenige Befürwortende. Am Donnerstagabend im Löwensaal waren sie chancenlos.
Windenergie im Kanton: Eine Ăśbersicht
Region: Ab 2030 sollen im Kanton Zürich 120 Windanlagen entstehen. Für viele kommt diese Entscheidung wie aus heiterem Himmel. Wir haben Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Prozess zusammengefasst.
Warum will der Kanton ĂĽberhaupt auf Windenergie setzen?
Die einfachste Antwort darauf: Er ist dazu verpflichtet. 2017 nahmen 58,2 Prozent der Stimmberechtigten das neue Energiegesetz des Bundes an. Im Artikel 10 heisst es: «Im Richtplan sind ‹geeignete Gebiete› für die Wind- und Wasserkraft auszuscheiden.» Regierungsrat Martin Neukom (Grüne) nennt weitere Gründe: Die lokale Stromproduktion ist ressourcensparend und schafft Energiesicherheit.
Heute deckt der Kanton Zürich seinen Strombedarf erst zu 18 Prozent selbst. Er habe aber das Potenzial, bis 2050 mehr als die Hälfte des Stroms, der hier verbraucht wird, selbst zu produzieren. Rund zwölf Prozent des künftigen Strombedarfs sollen – unverändert zum heutigen Stand – die Flusskraftwerke und die Kehrichtverbrennungsanlagen liefern. Vor allem soll die Solarenergie wachsen: PV-Anlagen müssten 2050 rund einen Drittel und Windkraftanlagen sieben Prozent des im Kanton verbrauchten Stroms produzieren.
Laut Kanton hat der Wind, obwohl er einen im Schnitt eher kleinen Beitrag zur Stromproduktion leistet, einen entscheidenden Vorteil: Er bläst im Winter besonders kräftig. Das heisst: Dann, wenn die PV-Anlagen wegen der geringen Sonneneinstrahlung am wenigsten Strom liefern, könnte der Wind einspringen.
Wie weiss der Kanton schon heute, welche Windanlagen installiert werden?
Das weiss er noch nicht. Und der Kanton selbst wird auch keine Windenergieanlagen bauen. Das müssen interessierte Energieversorgungsunternehmen tun. Für die Ertragsberechnung hat er zwei verschiedene Anlagentypen als Berechnungsgrundlage verwendet. Ein kleineres Windrad, das in schwierigerem Gelände aufgestellt werden kann, ist 160, das andere 220 Meter hoch. Diese Masse werden heute als logische Schlussfolgerung sowohl von Kritikern als auch von Befürworterinnen verwendet.
Wie wurden die Potenzialgebiete festgelegt?
Von vornherein schlossen die Expertinnen und Experten verschiedene Gebiete aus, etwa aufgrund der Lärmschutzverordnung. Je nach Empfindlichkeitsstufe betragen diese Abstände 300, 500 oder 700 Meter zu bewohnten Gebäuden. Auch der Flugverkehr rund um Kloten schränkt die Potenzialgebiete ein. In der Nähe wichtiger Infrastruktur, etwa des Wetterradars am Albis, nahe Bahnlinien und Strassen darf ebenfalls nicht gebaut werden. Und auch Naturschutzgebiete, Gewässer und Landschaftsschutzgebiete sind tabu. Zu guter Letzt simulierten die Fachpersonen des Kantons, wie stark die Winde im ganzen Gebiet 100 Meter über Boden wehen. Wo die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten weniger als 4,5 Meter pro Sekunde betragen, kommt Windkraft nicht in Frage. Dies lässt die bekannten 46 Potenzialgebiete zurück.
Was bedeutet «Potenzialgebiet» konkret?
In den 46 Gebieten könnten theoretisch 120 «grosse Windanlagen» gebaut werden, wie Regierungsrat Martin Neukom an einer Pressekonferenz im Oktober 2022 sagte. Diese könnten etwa 800 Gigawattstunden Strom pro Jahr produzieren, das sind ungefähr acht Prozent des heutigen Jahresbedarfs. Rund 170 000 Haushalte könnten so versorgt werden. Das Potenzial sei nicht riesig, aber es sei da, schloss Martin Neukom.
Aus diesen Potenzialgebieten soll später eine Auswahl an Eignungsgebieten hervorgehen, die in den kantonalen Richtplan eingetragen werden. Vorher werden aber noch die Gemeinden, Natur- und Landschaftsschutzverbände und Energieversorger eingebunden. An einem ersten Dialogtag vom 4. Oktober 2022 nahmen über 70 Gemeindevertreter teil.
Noch offen ist, wann die öffentliche Auflage stattfindet, an der sich nicht nur die Gemeinden, sondern auch Einzelpersonen zu den Eignungsgebieten äussern können.
Haben Kanton und Bundesrat den angepassten Richtplan genehmigt und ein Unternehmen will in einem Eignungsgebiet eine Anlage realisieren, geht es in die Nutzungsplanung. Bis dann das erste Baugesuch für ein Windrad aufliegt, dürfte es 2030 werden – wenn sich aus der Privatwirtschaft denn überhaupt Firmen finden, die bauen möchten.
Können diese Potenzialgebiete noch angepasst werden?
Ja. Bevor sie zu «Eignungsgebieten» werden, die später dem Kantonsrat für die Aufnahme in den Richtplan vorgeschlagen werden, konsultiert der Kanton Gemeinden, Natur- und Landschaftsschutzverbände, die Windenergiebranche und die Fachstellen von Kanton und Bund. Es kann also sein, dass ein Gebiet angepasst wird oder ganz wegfällt, zum Beispiel wenn eine wichtige Zugvogelroute durch dieses hindurchführt.
Kann eine Gemeinde den Bau einer Windanlage verhindern?
Der Bau einer Windanlage fände vermutlich unter einem kantonalen Plangenehmigungsverfahren statt. Die Zustimmung der Gemeinde wäre dann nicht nötig. Ähnlich wie bei einem kantonalen Strassenbauprojekt sei die Mitwirkung der Gemeinde aber zentral, sagte Martin Neukom an der Pressekonferenz im Oktober 2022 zum Planungsstand. Offen bleibt der Rechtsweg.
Profitieren Standortgemeinden ĂĽberhaupt in irgendeiner Form?
Bereits in den ersten Gesprächen mit Gemeindevertretern sei die Idee des «Windzinses» diskutiert worden, sagte Regierungsrat Martin Neukom damals vor den Medien. Bekannt ist das Konzept bei Wasserkraftwerken: Die Standortgemeinde erhält dort eine Vergütung des Betreibers. Viele Gemeinden im Kanton Graubünden erzielen höhere Einnahmen mit ihren Wasserzinsen als mit den Steuererträgen. Ein Windzins im Kanton Zürich werde nicht so hoch sein wie der Wasserzins, sagte Martin Neukom. Ob eine solche Regelung in die Vorlage aufgenommen wird, ist noch unklar. Die Elektrizitätswerke Zürich (EKZ) planen derzeit einen Windstandort im Thurgau, wo nicht nur die Standortgemeinde, sondern auch die umliegenden Kommunen einen Zins erhalten sollen.
Zusammenfassung: Tizian Schöni
Gegnerschaft im Aufwind