Weinland

Hochsaison für Kitzretter

Kitze werden von ihren Müttern in den ersten Wochen ins hohe Gras gesetzt, um sie vor Fressfeinden zu schützen. Ohne Fluchtinstinkt laufen sie Gefahr, von Mähern getötet zu werden. Mit Drohnen wird deshalb nach ihnen gesucht.

von Christina Schaffner
11. Juni 2024

Es ist noch früh. Der Tag erwacht gerade, als eine Drohne am Dienstagmorgen oberhalb von Dorf, nahe dem Waldrand, über eine baumbestandene Wiese surrt. Ausgestattet ist sie mit einer Wärmebildkamera. In den frühen Morgenstunden, wenn es noch kühl ist, lassen sich so Lebewesen in der Natur aufspüren. Am Steuer ist der Buchemer Drohnenpilot Heinz Kramer im Auftrag der Rehkitzrettung Schweiz.

Seit drei Jahren setzt er sich in Fronarbeit für die jungen Tiere ein und rettet so zusammen mit anderen Helfern, Jägern und vor allem Landwirten viele Tiere. Rund einen Monat, von Mitte Mai bis Mitte Juni, dauert die Haupteinsatzzeit. In diesem Jahr begann die Saison bereits Anfang letzten Monats. Die nasskalte Witterung ist wohl eine Erklärung dafür, warum bei der Suche auf den bisherigen 20 Feldern noch kein kleines Kitz gefunden wurde.

Kostenlos für Landwirte
«Uns geht es um die Sache», betont Heinz Kramer, der jeweils mit Helfern, dem Landwirt und mit Jägern im Einsatz ist. Aufgeboten werden Drohnenpiloten wie er über den Verein Rehkitzrettung Schweiz, bei dem die Landwirte ihren Bedarf anmelden. Kosten entstehen ihnen dafür nicht. Deshalb ist es für Heinz Kramer unverständlich, dass es immer wieder Bauern gibt, die auf das Absuchen verzichten – oder erst anfragen, wenn sie beim Mähen Rehe auf der Wiese bemerken. Zwar nutzen manche Landwirte nach wie vor das «Verblenden», das Aufstellen von abschreckenden Silberstreifen, um die Rehe fernzuhalten. Aber das allein genüge oft nicht.

Hinzu kommt, dass Kitze schwer zu finden sind. Sie liegen in den ersten drei Wochen im hohen Gras und bewegen sich nicht. «Man könnte direkt daneben vorbeilaufen, ohne sie zu bemerken», so Heinz Kramer. Ein Fluchtinstinkt fehlt in dieser Zeit. Das alles entspricht einem natürlichen Schutz vor Fressfeinden. Nur gegen die Maschinen sind sie wehrlos. «Es ist grauenhaft, wenn einem Kitz die Beine abgeschnitten werden oder es gar ganz vermäht wird», sagt Heinz Kramer. Dabei ist nicht nur der Anblick fürchterlich, auch das Gras kann danach nicht mehr verwendet werden – es bestehe, so der Pilot, eine grosse Krankheits- oder gar Todesgefahr für die Tiere, die es fressen sollen.

Gemeinsam Drohne gekauft
Um keine langen Wartezeiten oder weite Fahrten abzuwarten, sammelten im vorletzten Winter Landwirte, Jäger, Pilot und Helfer Geld für die Anschaffung dieses speziellen Flugobjekts. Die rund 8000 Franken kamen auch dank der Unterstützung der Gemeinden Berg und Buch am Irchel schnell zusammen (AZ vom 20.1.2023). Im letzten Frühjahr konnten damit bereits 20 Kitze im Flaachtal und in Neftenbach vor dem grausamen Mähtod bewahrt werden.

Wird ein Kitz mit der Drohne aufgespürt, lotst Heinz Kramer den Helfer per Funk zu der Stelle. Dieser deckt das Kitz für die Zeit der anschliessenden Mäharbeiten mit einer Kiste ab und markiert die Stelle zusätzlich mit einem Stab.

Doch auch an diesem Morgen findet Heinz Kramer in Dorf kein Kitz im hohen Gras. Dafür aber Vögel im Baum. Um sicherzugehen, fliegt er mit der Kamera seitlich heran. «Mit der Zeit bekommt man ein Auge dafür und erkennt auch anhand der Umrisse, um welches Tier es sich handelt.» Hinzu kommt, dass Füchse, Katzen oder andere Tiere beim Herannahen der Drohne davonlaufen. Zuvor hatte Heinz Kramer an diesem Morgen aber in Buch am Irchel ein erstes Erfolgs­erlebnis in diesem Jahr: Er scheuchte ein älteres Kitz auf – «das erste in diesem Jahr» –, das aber selbständig davonlief.

In den nächsten Wochen werde sich das aber ändern: In Dorf meint Jäger und Landwirt Martin Stolz, viele Rehe seien derzeit noch «kugelrund» und würden in den nächsten Tagen bei wärmerem, nicht so nassem Wetter gebären. Genau in ihre Setzzeit fällt der Termin des 15. Juni, zu dem Ökowiesen frühestens gemäht werden dürfen, um von Direktzahlungen zu profitieren. «Es sind für diesen Tag bereits mehrere Felder angemeldet», sagt Heinz Kramer. Sein Helfer fügt hinzu, dass sie dann wohl bereits um 2 Uhr in der Nacht mit der Suche beginnen müssten, um die kühlen Temperaturen zu nutzen. Rechnet man die drei Wochen hinzu, in denen der Fluchtinstinkt fehlt, kann die Suche nach Kitzen bis Ende Juni dauern – eine Zeit mit schlafarmen Nächten für alle Beteiligten. Aber auch eine, so Heinz Kramer, «mit schönen Sonnenaufgängen».

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