Dieses Cockpit war einst Teil einer Maschine
Ein Knopfdruck, und ich befinde mich auf knapp 1000 Metern über Boden. Unter mir liegt der Rhein, und in einigen Kilometern Entfernung leuchtet die Piste 14 des Flughafens Kloten. Ich sitze mutterseelenalleine auf dem Pilotensitz einer Boeing 737, das dumpfe Dröhnen der Triebwerke dringt ins Cockpit. Hunderte Kippschalter, Anzeigen und Knöpfe umgeben mich. Das Einzige, was nicht ganz fremd wirkt, ist das Steuerhorn, das ich wie ein Lenkrad mit beiden Händen umklammere.
«Jetzt mit ungefähr drei Grad Senkflug in Richtung Piste», höre ich über Funk, und korrigiere den Kurs nach unten. Etwas zu fest, denn jetzt zeigt mir eine Anzeige neben der Piste vier rote Lichter: Ich bin zu tief. Durch die Gegenkorrektur komme ich etwas schief auf die Landebahn zu, jetzt umfasse ich das Steuerhorn noch etwas verkrampfter. Zwar setzen die Hinterräder noch planmässig auf der Landebahn auf, aber beim Ausrollen kommt die Maschine von der Piste ab und schliesslich mitten im Rasen zu stehen. Mit schwitzigen Händen und etwas Gänsehaut lasse ich das Steuerhorn los. Immerhin: Ich und meine knapp 140 Passagiere hätten die Landung überlebt.
Kaum durchgeatmet, höre ich: «Und gleich nochmals.» Über Funk spricht Pascal Calzaferri mit mir. Der Geschäftsführer der Firma Sim Aviation zeigt mir heute einen seiner Flugsimulatoren. Mit einem weiteren Knopfdruck sind wir wieder in der Luft.
Standard: Pilotenausbildung
Wer beim Ausdruck «Flugsimulator» an ein PC-Spiel denkt, ist auf dem Holzweg. Die Anlage simuliert die Steuerung einer echten 737 so perfekt, dass an ihr sogar Linienpilotinnen und -piloten grosse Teile ihrer Ausbildung absolvieren können. Das Cockpit in der originalen Flugzeugnase, das heute in einer unscheinbaren Lagerhalle steht, war ursprünglich in einer echten Boeing verbaut. Etwa 30 000 Flugstunden war es in der Luft, bevor es zum Simulator wurde.
Heute sorgen drei Hochleistungsbeamer für die Sicht ausserhalb des Cockpits. Sie projizieren mit einer speziellen Technik ein realistisches Bild der Umgebung auf die Leinwand. Im Moment ist es die flache Weite des Flughafens Zürich. 16 Rechner sorgen dafür, dass die Simulation bis ins kleinste Detail realistisch ist. Nicht nur das Bild muss stimmen, auch die Instrumente – vom Flugcomputer bis hin zum Wetterradar – müssen akkurat funktionieren. Ebenso werden Geräusche genau wie in einer echten Maschine wiedergegeben. Auf zwei Kontrollsitzen können Instruktoren Wetter, Route, Sichtverhältnisse oder verschiedene Fehlfunktionen an der Maschine programmieren.
Die Anlage wurde in einem aufwendigen Verfahren zertifiziert. «Da muss jede Anzeige bis auf die richtige Farbe hinunter stimmen», sagt Pascal Calzaferri. Eine kleine Uhr zum Beispiel zeigt die Neigung der Landeklappen an. «Um dieses Instrument zu kalibrieren, benötigen wir etwa einen halben Tag.» Werde der Neigungswinkel nicht exakt angezeigt, falle der Simulator durch die Zertifizierung. Auch deshalb sind rund um die Anlage, die schon selbst etwa die Grösse einer PW-Garage hat, Werkzeugtische und allerlei Ersatzteile gruppiert. «Dieses Gerät zu unterhalten, ist im Prinzip ein 24-Stunden-Job», sagt er. Je nach Ausführung koste die Anschaffung neu 1,3 bis 1,7 Millionen Franken.
Flugangst bewältigen
In der Lagerhalle in Attikon stehen noch ein weiterer Boeing- und ein Helikopter-Simulator. Pascal Calzaferri und sein Geschäftspartner bieten nicht nur professionelle Pilotentrainings, sondern auch Erlebnisflüge, Teamevents und Flugangstseminare an. «Wir zeigen Menschen mit Flugangst, wie sicher die Systeme in einem modernen Linienflugzeug sind.» Bisher habe er damit noch jedem Teilnehmenden helfen können.
In einer kurzen Demonstration stellt er auf einen nebligen Nachtflug um – keine 50 Meter weit sieht man nun mehr. Auch unter diesen Bedingungen könne das Flugzeug problemlos landen, und das praktisch ohne menschliches Eingreifen. Alle Systeme in der Maschine stünden in zweifacher Ausführung für die Pilotin und den Co-Piloten zur Verfügung. Und selbst Ersatzteile für die Bordelektronik würden mitgeführt und könnten bei einem Ausfall durch das Personal ersetzt werden.
Gewissermassen hat die Flugangst auch Pascal Calzaferri in diese Branche geführt: Er wollte Privatpilot für Helikopter werden, hatte aber Respekt vor dem Fliegen. Als Inhaber einer Messebaufirma hatte er bereits EDV-Kenntnisse und entsprechendes Equipment. Also baute er sich mit einem eingekauften Sitz und Bildschirmen aus seiner Firma einen eigenen Simulator, um seine Angst dort zu überwinden. «Von da an wurde es irgendwann immer professioneller», sagt er.
Teilehandel für Profis
Mit seiner Firma unterhält er noch fünf weitere Flugsimulatoren, die an verschiedenen Orten in ganz Europa stehen. Das Kerngeschäft ist eigentlich der Ankauf von alten Simulatoren und deren Aufrüstung und Zertifizierung. Die Firma handelt aber auch mit Teilen für Flugsimulatoren, die sie oft von Zulieferern bezieht, in Attikon zusammenstellt oder anpasst und dann dem Endkunden weiterverkauft. «Das ist der Steuerknüppel einer F-35», sagt Pascal Calzaferri und zeigt einen Nachbau, der dem Original im Kampfjet – für den die Schweiz erst letztes Jahr einen Kaufvertrag unterschrieben hat – überraschend ähnlich sieht. Wer seine Abnehmer dafür seien, könne er leider nicht verraten.
Für jeden, der sich den Traum vom Fliegen schnell und für vergleichsweise wenig Geld erfüllen will, ist der Simulator von Sim Aviation perfekt. Selbst ich schaffe es am Ende dreimal, die Boeing sicher auf den Boden zu bringen. Zwar nicht ganz selbständig, für das richtige Tempo und einige Voreinstellungen vor der Landung sorgt mein Instruktor. Für das erste Mal in einem Flugzeug sei es aber keine schlechte Leistung, meint Pascal Calzaferri. Vielleicht sagt er das aber auch nur, weil ich nach der letzten Landung wohl ziemlich abgekämpft aussehe.
Mehr Infos: www.sim-aviation.com
Landen leicht gemacht