«Man muss realistisch bleiben»

Berg am Irchel - Anita Zybach ergänzt seit Juli das Team der Greifvogelstation. Die erfahrene Tierkennerin leitet die täglichen Arbeiten und informiert an Führungen über ihre Arbeit, zu der auch der Tod gehört.

Christina Schaffner (cs) Publiziert: 15. Oktober 2024
Lesezeit: 4 min

«Stress bringt einen Vogel um. Er braucht Zeit und Ruhe, damit seine Wunden heilen können», sagt Anita Zybach. Sie ist seit Juli Leiterin der Greifvogelstation, die zur Stiftung Paneco gehört. Deshalb will sie auch jeden zusätzlichen Stress für die Pfleglinge vermeiden, was manchmal schwierig sei. Die Leute finden die Vögel oft so herzig und wollen ihnen beim Freilassen über den Kopf streicheln.» Dass der Vogel dabei die Augen schliesst und blinzelt, interpretierten sie als Wohlbefinden. Tatsächlich sei es ein Zeichen von Stress und Unwohlsein. «Kein Wildtier will angefasst werden», sagt sie.

Vieles basiere auf Unwissenheit. Deshalb lege die Greifvogelstation Wert auf Aufklärung, etwa bei den Freilassungen durch Paten, die für die Pflege Geld gespendet hätten. Und an Führungen erfahren Interessierte, was in Berg am Irchel geleistet wird. Auch Anita Zybach übernimmt Termine mit Erwachsenen und Schulklassen. Gerade für Letztere wurde das Angebot überarbeitet und ein Heft erstellt, das alle Greifvögel in Kurzform darstellt. Sogar ihre Laute können per QR-Code abgerufen werden. Das Heft begeistert Mitarbeitende wie Gäste gleichermassen.

Katzenasyl und Tierrettung Zürich

Anita Zybach ar­bei­te­te zuvor bei der Tierrettung Zürich. «Die Fahrten zur Greifvogelstation waren mir immer die liebsten», erzählt sie. Die Einrichtung, die Gegend, das alles fand sie angenehm und einladend. Deshalb habe sie sich beworben, als die Stelle ausgeschrieben war – zumal sie früher einmal ähnliche Arbeiten im Katzenasyl Sternenberg erledigte.
 
Grosse Hoffnung auf die Stelle hatte sie nicht. «Ich dachte, ich würde bis zur Pension bei der Tierrettung bleiben.» Doch sie täuschte sich und ergänzt seit Juli das Team, zu dem, neben Programmleiter Andi Lischke, der ihr Chef ist, und Amber Gooijer, die für Natur- und Umweltbildung zuständig ist, auch Zivildienstleistende, Praktikanten und Freiwillige gehören. Sie verteilt täglich die Arbeiten in der Station und an den Vögeln, besorgt notwendiges Material und übernimmt Führungen.

Tiere übten auf Anita Zybach schon als Kind eine grosse Faszination aus. «Ich hatte jedes Haustier, das man sich vorstellen kann», sagt sie lachend. Am längsten geblieben ist ihr ein Gelbhauben-Kakadu, den sie vor 40 Jahren mit ihrem ersten Lehrlingsgehalt kaufte. «Eigentlich war ich wegen Meerschweinchenfutter in der Tierhandlung. Aber der Vogel tat mir so leid, dass ich ihn mitnahm.» Inzwischen hat sie ein Weibchen für ihn dazubekommen, das ebenfalls in Not war. «Meine Kinder haben schon Angst, dass sie die Vögel eines Tages erben.» Aber man merke den Vögeln das Alter langsam an.

Neben den beiden Papageien bereichern zwei Katzen und ein Hund ihren Haushalt – und derzeit noch zwei Ziegenböcke, die sie vorrübergehend aufgenommen hat, was dank ihres Hauses mit Umschwung möglich ist. «Sie folgen mir auf Schritt und Tritt», erzählt sie von den zahmen Tieren. Nun könnten diese auf einen Hof ziehen, wo mehr Menschen, auch Beeinträchtigte, mit ihnen Zeit verbringen. «Das wird ihnen gefallen.»

Ein Uhu in der Stadt Zürich gerettet

Anita Zybach hat sich im Bereich der Tierpflege stetig weitergebildet. Neben den Berechtigungskursen für Tiertransporte und Wildtierpflege gehörten Workshops in der Greifvogelstation dazu, in denen sie den Umgang mit verletzten Vögeln lernte; die Bergung von Greifvögeln gehörte zu ihren Aufgaben bei der Tierrettung Zürich. Einmal, als es hiess, dass in der Stadt Zürich ein Uhu gefunden worden sei, konnte sie das kaum glauben. Diese grösste Eulenart ist sonst nicht in Städten zu finden. Doch dieser Vogel, der auf dem Uetliberg zu Hause war, hatte sich an einem Auge verletzt und war so in die Stadt geraten. Ihm konnte geholfen werden.

An Greifvögeln fasziniert Anita Zybach die Eleganz, mit der sie sich in der Luft bewegen – vielleicht waren sie deshalb ihre «Lieblingstiere» bei der Tierrettung. Auf die Frage, was es brauche, um in der Greifvogelstation zu arbeiten, überlegt Anita Zybach einen Moment. Zunächst kommen allgemeine Infos wie gesunder Menschenverstand und Wissen um Tier und Umwelt. Dann aber auch, dass man realistisch bleiben müsse. «Wir können nicht alle gefundenen Vögel wieder freilassen, für manche ist die richtige Hilfe, sie zu erlösen.» Dass damit nicht alle umgehen können, musste sie im Laufe ihres Berufslebens erfahren. Und manchmal auch, dass menschliche Wünsche hintanstehen müssen. Am Tag des Besuchs der Schreibenden gab es keinen Greifvogel, dem ohne grossen Stress ein Fototermin zugemutet werden konnte – deshalb wurde ein offizielles Bild aus dem Fundus der Stiftung herausgesucht.

Sicher gehören Freilassungen von Pfleglingen zu den schönsten Momenten ihrer Arbeit. Dann, wenn diese ihre geheilten Schwingen ausbreiten, sich in die Luft erheben, eine letzte Runde über der Station drehen und in der Ferne verschwinden.