Weinland

«Mit dem Zeichnen hab ich mir selbst viel Gutes getan»

Am ersten Tag des ersten Lockdowns beschloss Peter Zollinger, täglich eine neue Zeichnung ins Internet zu stellen. Nach 365 Tagen ist am 15. März Dernière.

von Silvia Müller
12. März 2021

Zur Vernissage am 16. März 2020 präsentierte Peter Zollinger eine aquarellierte Mohnblume, die schon den Sommer versprach. Und sicher wird er sich nächste Woche auch mit etwas extra Schönem verabschieden – immerhin nennt er seine Aktion «Mit Freude gegen Corona».

Die Pandemie-Dernière ist zwar immer noch nicht abzusehen, doch Peter Zollinger zieht nach 365 Tagen und Bildern einen offiziellen Schlussstrich. Am 15. März liefert er zum letzten Mal. Er zeichne für sich selbst weiter und stelle auch weiterhin Bilder ins Netz, sagt er – aber er nehme sich die Freiheit, das ab nun wieder nach Lust und Laune zu tun. «Ich möchte mir wieder grös­sere Papierformate vornehmen, mit entsprechend mehr Zeitaufwand. Das ist schlecht vereinbar mit täglichem Abgabedruck.»

«Zeitaufwand» ist ein interessantes Stichwort: Wie viele Stunden hat ihn die Erfüllung seines eigenen Versprechens denn beschäftigt? «Im Durchschnitt sass ich zwei Stunden da, bis die A5-Seite das zeigte, was mir vorschwebte», erzählt er. 365 x 2 macht 730 Stunden im Jahr. Das sind 86 Arbeitstage à 8,5 Stunden. Also 17 Arbeitswochen. Hätte er einen Stundenlohn von 50 Franken einsetzen können, wären 36'500 Franken auf sein Konto geflossen.

Das alles ist Theorie, Milchbüchleinrechnung. Real sind einzig die 25 spiralgebundenen Aquarellbüchlein auf dem Tisch. Doch die sind für Peter Zollinger ein unbezahlbarer Schatz. Die Rede ist nicht vom potenziellen Verkaufserlös, sondern vom Erfahrungsschatz. «Die Aufgabe hat mich zeichnerisch weitergebracht und in mir selbst und anderen viel Gutes ausgelöst», zieht er Bilanz.

«Die Perspektive stimmt nun»
Zur Erklärung kommentiert er eines seiner frühesten Werke: «Zweidimensional, flach. Es ist mir am Anfang nicht gelungen, ein Sujet räumlich wirken zu lassen.» Dann zeigt er ein neueres: Der Hase vom 27. Februar guckt direkt aus dem Bild heraus, als könnte man ihn anfassen und streicheln. «Das tägliche Üben hat geholfen. Plötzlich funktionieren die Perspektiven. Ich darf es sagen: Ich habe in diesem Jahr viel gelernt.»

Weil er immer ohne Entwürfe direkt ins Buch zeichne, seien halt auch jetzt noch ab und zu «schwache Bilder» darunter. «Das weiss ich selbst, und ich finde es nicht schlimm. Egal, wie versiert jemand ist, niemandem gelingt auf Anhieb alles.» Ihm sei der Weg eben mindestens so wichtig wie das Ziel, deshalb habe er parallel dazu an der Kunstschule Winterthur zwei Zeichnungskurse und einen Aquarellkurs belegt. «Das hat mich technisch angespornt und die Motivation hochgehalten.»

«Wahre Motivierungsmotoren» waren ihm auch die Reaktionen seiner Freunde und Follower auf Facebook, Threema, WhatsApp und der eigenen Website – dank seinem Projekt nutzt er die digitalen Kommunikationskanäle routiniert. «Die Kommentare von bekannten und unbekannten Menschen waren inspirierend. Oft brachten sie mich auf eine neue Idee. Ich musste mir ja ständig überlegen, was ich als nächstes zeichnen sollte.» Er versuchte stets, ein bis drei Tage «Vorrat» zu haben, um sein Versprechen trotz unvorhergesehenen Ereignissen täglich einlösen zu können.

Künstlerisch und menschlich verlässt Peter Zollinger diese Bühne also zufrieden. «Als der erste Lockdown kam, beschloss ich, die Einschränkungen und zusätzliche Zeit gut zu nutzen. Zufrieden, konzentriert, kreativ, möglichst ohne jemandem zu schaden. Das ist mir persönlich gelungen.» Eben – er ging «mit Freude durch Corona». Seine gelassene, pragmatische Einstellung zur aktuellen Lage ist in viele der 365 Bilder eingeflossen.

Trotzdem spielt ErnĂĽchterung rein
Trotzdem hört er nun auch «mit einer gewissen Ernüchterung» auf. Viele Ins­titutionen hätten – mit Ausnahmen – wenig Positives aus der Situation gemacht, und auch im Privaten sei das offensichtlich vielen nicht gelungen. «Sicher, viele Menschen haben wie ich mit einer ‹Strategie der kleinen Möglichkeiten› das Beste aus dieser Zeit gemacht. Doch als Gesellschaft haben wir das leider nicht geschafft.»

Er könne verstehen, dass beim zweiten Lockdown im Herbst viel von der Zuversicht des Frühlings abhanden­gekommen sei. «Aber inzwischen gehen die guten Botschaften im Lärm all der Hasssäer und Landesspalter unter. Die meisten Medien sind unterdessen voll davon. Corona hat sogar alte Freundschaften zerstört», sagt er. Mit dem Zeichnen habe er sich selbst in diesem Jahr viel Gutes getan. «Doch jetzt ist es Zeit, meine Kräfte neu zu bündeln.»

Alle Zeichnungen sind auf www.pezo.ch zu finden.

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