Weinland

Pferde für Vaters Kutsche

Eigentlich ist er Hufschmied. Doch in seiner Freizeit beschlägt Walter Frehner keine Pferde, er schnitzt sie. Damit will er das Werk seines Vaters vollenden: einen detailgetreuen Nachbau der Gotthard-Postkutsche.

von Manuel Sackmann
29. Januar 2021

Walter Frehner kennt sich mit Pferden bestens aus. Als Hufschmied hat er häufig mit ihnen zu tun. In seiner Werkstatt zu Hause in Rheinau kümmert er sich aber nicht nur um die Hufe, sondern legt gleich die ganzen Tiere auf den Tisch. Kein Wunder, sind sie doch mit etwa 30 Zentimetern Höhe wesentlich kleiner und aus Holz.

Fünf Stück dieser stolzen Tiere im Kleinformat entstehen, alle sorgfältig von Hand geschnitzt. Sie sollen dereinst die Postkutsche über den Gotthardpass ziehen – oder es zumindest so aussehen lassen. Die zugehörige Kutsche existiert bereits. «Mein Vater hat vor etwa zehn Jahren damit begonnen, die bekannte Gotthard-Postkutsche originalgetreu nachzubauen», sagt der 50-Jährige. Bis ins kleinste Detail entspricht sie dem realen Vorbild, sogar im Innenraum. Der Mann wusste, was er tat. «Er arbeitete als Wagner und baute im Jahr 1986 die echte Gotthard-Postkutsche, die heute noch im Einsatz steht.» Auch Walter Frehner half mit und verliess dafür die Schule ein Jahr früher.

Im Schatten gewachsen
Heute ist der Vater im Altersheim, und seine Mini-Kutsche soll nicht länger ohne Zugtiere dastehen. Darum kümmert sich der Sohn. Der gebürtige Appenzeller schnitzte schon als Kind, zum Beispiel für das Silvester-Chlausen in der Heimat. Um zu lernen, wie man kleine Details wie eine Mähne, Augen oder das Maul fertigt, besuchte Walter Frehner kürzlich einen professionellen Schnitzer im Kanton Bern. «Von ihm habe ich auch das Holz», erklärt er. Lindenholz, das im Schatten gewachsen ist, denn das sei gleichmässiger, homogener.

Er beginnt mit einer selbst gezeichneten Schablone und sägt die Pferde grob aus. Danach geht es an die Feinarbeit. Sorgsam bringt er die Tiere in Form. Ihm komme zugute, dass er sich so gut mit Pferden und deren Anatomie auskenne, sagt er. Die Muskulatur wird auf der Schnitzerei exakt wiedergegeben, doch dabei ist Vorsicht geboten. «Was weg ist, ist weg!» Damit das Holz nicht einreisst, sollte man zudem stets mit dessen Verlauf schnitzen. Dieser stimme aber nicht immer mit dem Körperbau des Pferdes überein.

Walter Frehner ist detailversessen. Kein Pferd ist gleich, selbst auf eine unterschiedliche Fussstellung achtet er. «Man verliert sich darin», gibt er zu. Immer wieder fährt er mit den Fingern über sein Werk oder macht einen Schritt zurück und begutachtet es aus der Ferne. «Man muss es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, um alle Unstimmigkeiten zu finden.»

Drei Tage für die Tremola
Es brauche sicher etwas Talent, aber das Schnitzen entspanne ihn. Wie lange er an einem Pferd habe, könne er nicht sagen. «Lange», so der Rheinauer. Er arbeitet an mehreren gleichzeitig, und wenn sie dann fertig sind, sollen sie auch noch Geschirrzeug erhalten, natürlich originalgetreu. Und ja, vielleicht verpasse er ihnen sogar kleine Hufeisen.

Ganz am Ende werden sie auf der Holzplatte befestigt, auf der schon die Kutsche steht. Auch diese «Strasse» hat Walter Frehner gefertigt. Sie verfügt über einen Randstein und eine Pflasterung – «wie die echte Tremola eben.» Rund 3000 solcher «Bsetzisteine» hat er eingeritzt. Drei Tage habe die Arbeit in Anspruch genommen.

Wann alles fertig sein wird, steht in den Sternen. Nur eines ist dem Weltmeister im Kunstschmieden von 2012 wichtig: «Mein Vater ist 89, und ich will, dass er das vollendete Werk noch sieht.»

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