Weinland

Spitzenkoch verlässt den Bauernhof

Drei Jahre hat Simon Schneeberger auf dem Hof der Familie Stucki gearbeitet – und dort nebenbei auf Spitzenniveau gekocht. Im Mai kocht er das letzte Mal im Weinland, danach sucht er sich eine neue Herausforderung.

von Tizian Schöni
23. Februar 2024

Auf dem Weg von Niederwil nach Oberwil, mitten zwischen Feldern und einem Treibhaus, steht ganz versteckt ein Spitzenrestaurant. Wobei – mit Sternen und Punkten will der Mann, der dort kocht, nichts zu tun haben. Simon Schneeberger, so heisst der Küchenchef des «I tavoli del vagabondo», sieht sich als Handwerker. Auf dem Bauernhof der Familie Stucki, wo er regelmässig seine Menüs serviert, arbeitet er selbst mit. «Für mich ist die Produzentenseite nicht von der Gastronomie zu trennen», sagt der 39-Jährige. Was bei ihm auf den Teller kommt, ging durch seine eigenen Hände. Und es stammt ausschliesslich aus der Region. Damit meint er nicht das floskelige «Wir kochen saisonal und regional», den Spruch, den man mittlerweile in jeder Speisekarte liest. Simon Schneeberger meint: ausschliesslich.

Exotische Gewürze wie zum Beispiel Pfeffer benutzt er in seiner Küche nicht. Stattdessen arbeitet er mit frischen Kräutern: Dill, Estragon, Peterli und Schnittlauch, Kerbel, Koriander. Auch Wildkräuter verwendet der Gastronom. Letztere schmeckten «grün» und brächten eine angenehme Frische in die Speisen, zum Beispiel in den Salat. «Das Fleisch, das ich serviere, stammt von Sauen, die ich selbst gefüttert und gepflegt habe. Bei mir wird alles verarbeitet, was vom Metzger zurückkommt.» Teile, die nicht so auf den Teller kommen, werden dann eben zu einem Schwartenmagen verarbeitet und fein gepresst als Amuse-Bouche serviert.

Alles aus einer Hand
Simon Schneeberger kocht über dem offenen Feuer, auch wenn es «seicht». Aber ist das nicht Gift für gehobene Küche? Unkontrollierbare Hitze, der Rauch vom Feuer, Regenwasser in der Bratpfanne? «Genau das ist dann eben das Handwerk und die Kunst», sagt Simon Schneeberger. Ein Rindsfilet im Vakuumsack sous-videgaren, das könne jeder. Sich limitieren auf das, was in der Region wachse, und sei es das Holz für seine Feuerstelle, das mache seine Spitzenküche aus. «Wenn ich meine Zutaten aus aller Welt einkaufen kann, stelle ich dir in drei Monaten ein dotiertes Sternerestaurant hin.» Eine Challenge sei das nicht. Simon Schneebergers Herausforderung ist am Ende die Konsequenz seines eigenen Konzepts, das «Dogmatische», wie ein früherer Geschäftspartner einst sagte. Die perfekte Zutat – für den Gastronomen scheint es sie nur dann zu geben, wenn er den Boden selbst bearbeitet hat, auf dem sie wächst. Wenn er sie selbst gehätschelt und gepflegt hat. Und sie schliesslich vor den staunenden Augen seiner Gäste abpflücken und wenige Meter weiter bereits in seine Kreationen einarbeiten kann.

Er träume noch heute davon, irgendwann einmal ein Restaurant zu eröffnen, das mit einem einzigen Produktionsbetrieb zusammenarbeite. Im Lokal solle dann alles verarbeitet werden, was der Bauer auf dem Feld und im Stall produziere.

Dieses Konzept kommt bei seinen Gästen gut an, rund 30 Mal hat er seine «Edizioni» in den vergangenen drei Jahren veranstaltet, zwölf Neugierige konnten seine Küche jeweils einen Abend lang erleben. Dazu hat er private Veranstaltungen durchgeführt, vom Firmen- bis zum Geburtstagsessen. Dabei war sein Überraschungsmenü nicht günstig: Rund 200 Franken kostete ein Platz im lauschig eingerichteten Treibhaus. «Wäre ich mit der Weiterverrechnung der Arbeit und der Lebensmittel konsequent gewesen, hätte er 500 Franken kosten müssen.», sagt Simon Schneeberger.

Regional um jeden Preis
Wie viel regionale Lebensmittel wert seien, werde einem erst bewusst, wenn man selbst einmal einen Kilometer Rüebli gejätet habe. Von Hand, versteht sich. Wer an seinen Essen teilnahm, der lernte auch etwas über die Landwirtschaft und das Verhältnis zwischen Produzenten und Abnehmern. «Beim Grossverteiler kann man ein Kilo Rüebli für 1.90 Franken beziehen. Gewaschen und genormt. Von Stuckis Hof, der seine Lebensmittel ohne den Einsatz von Pestiziden und ohne intensive Bodenbearbeitung produziert, kosten sie 5.80.» Und das sei noch zu billig, sagt Simon Schneeberger.

Der Konsument muss umdenken
Auf der einen Seite faire, regional produzierte Lebensmittel, auf der anderen der hohe Preis. «Grundsätzlich finde ich, es gibt ein Recht auf gesunde, nachhaltige Ernährung», sagt Simon Schneeberger. Es sei ihm ein Dorn im Auge, dass gutes Essen etwas für Wohlhabende sei. Doch für ihn muss das Umdenken vom Konsumenten her kommen. «Bei mir waren viele junge Gäste zu Besuch, die hatten bestimmt nicht viel Geld im Sack.» Und trotzdem leisteten sie sich das Menü. Weil sie überzeugt seien, dass diese Art zu produzieren und zu verarbeiten die richtige sei, glaubt er.

«Wenn ich im Sommer an den Leuten vorbei ins offene Treibhaus gehen und dort noch zwei Tomaten mehr pflücken konnte, weil spontan noch ein Gast dazugekommen war – das waren die schönsten Momente.» Simon Schneebergers Küche transportiert eine Botschaft: Gutes Essen soll dir etwas wert sein. «Mit der pauschalen Aussage «das ist mir zu teuer» hatte ich immer ein Problem», sagt er.

Ein «rastloser Kreativer»
Nach drei Jahren auf dem Hof der Stuckis sucht Simon Schneeberger nun nach einem neuen Projekt. «Ich bin ein rastloser Kreativer», sagt der Gastronom. Nebst seinen Events in Oberwil hat er immer auch auf dem Hof mitgearbeitet. Zudem töpfert er, und bald komme ein Seifen-Projekt. «Da möchte ich mit einem Kollegen das Fett meiner Schweine verarbeiten.»

Noch dreimal finden seine «Edizioni» statt, die letzte davon Ende Mai – nur in dieser Spezial­ausgabe sind noch Plätze frei. Wer die naturnahe Küche andernorts erleben will, kann Simon Schneeberger nachreisen. Zwei Monate wird er auf einer Alp im Maggiatal verbringen und dort die Produkte verarbeiten, die der Ort hervorbringt.

Zur Person

Simon Schneeberger (39) schloss seine Lehre als Koch im «Rössli» in Zollikon ab. Später arbeitete er in der «Akazie» in Winterthur unter Christoph Graf, einer Legende in der Winterthurer Gastroszene. Er arbeitete im Szene-Italiener «Rosso» in Zürich als Küchenchef und in der Delikatessen-Räucherei «Das Pure» in Wetzikon.

Seine Sporen in der Spitzengastronomie hat er sich in Kopenhagen verdient: Die Faszination für die nordische Küche liess ihn ein unbezahltes Praktikum im «Noma» antreten. Das Restaurant führte zuletzt 2021 die Sanpellegrino-Liste als bestes Lokal der Welt an, Simon Schneeberger brach die Anstellung vorzeitig ab. Seine Erfahrungen nahm er trotzdem mit. Er setzte sie auf seine eigene Art im «Fritz Lambada» im Roten Turm in Winterthur um. Mit zwei Geschäftspartnern eröffnete er 2016 das Restaurant, doch die Arbeit forderte ihn mehr, als ihm lieb war: 2018 übergab er die Küche an seinen Souschef. Danach wollte er angewandte Psychologie studieren, sehnte sich nach dem Campus-Leben. Doch Corona machte diesem Plan einen Strich durch die Rechnung, und ganz losgelassen hatte ihn die Kreativarbeit mit Lebensmitteln wohl nie. 2020 zog es ihn aufs Land und auf den Hof der Stuckis. (tz)

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