Die Story um Rutschwils einstige Dorfbeiz sorgt nicht zum ersten Mal für Kopfschütteln. Wer Freude an Dorfstrassen mit traditionellen Häusern hat, fragt sich schon seit 2019, warum das lokaltypische und gepflegt wirkende Gebäude abgerissen werden sollte.
Die Vorgeschichte wird in der Medienmitteilung des Vereins Zürcher Heimatschutz zusammengefasst: Das Haus aus dem frühen 19. Jahrhundert wurde bis vor wenigen Jahren als Dorfrestaurant betrieben. Dann kaufte ein Immobilienentwickler die Liegenschaft mit Umschwung, um dort mehrere Mehrfamilienhäuser zu errichten. Das ursprüngliche Projekt sah vor, auch den Gasthof durch einen Wohnblock zu ersetzen. Der Gemeinderat bewilligte im Herbst 2019 das entsprechende Abbruch- und Baugesuch.
Der Zürcher Heimatschutz erhob dagegen Rekurs. Aus seiner Sicht ist die «Traube» unterdessen das dominierende und eindrücklichste Gebäude in Rutschwil und zweifellos schutzwürdig. Die zürcherischen Gerichte traten auf den Rekurs nicht ein. Die Begründung: Das Haus sei nicht im kommunalen Inventar aufgelistet, das der Gemeinderat kurz zuvor verabschiedet hatte. Just dies ist laut Zürcher Heimatschutz aber kein Zufall: Die «Traube» sei offensichtlich bereits mit Blick auf den damals schon angedachten Abbruch nicht ins Inventar aufgenommen worden.
Klare Gerichtsurteile, klar missachtet
Der Heimatschutz gelangte hierauf ans Bundesgericht. Dieses gab ihm Recht, dass das Haus willkürlich nicht in das Inventar aufgenommen worden sei, und wies die Sache an das Zürcher Baurekursgericht zurück. Dieses hob am 20. Januar 2022 die Abbruch- und Baubewilligung auf. Gleichzeitig präzisierte es zuhanden des Gemeinderates und der Bauherrschaft das weitere Vorgehen: Zuerst müsse die Eigentümerin ein Gesuch um Abklärung der Schutzwürdigkeit einreichen. Aufgrund eines Gutachtens habe der Gemeinderat hierauf zu entscheiden, ob die «Traube» abgebrochen werden könne oder aber unter Schutz zu stellen sei.
Nach dieser Klärung des Vorgehens trat die Bauherrschaft mit dem Wunsch um eine einvernehmliche Lösung an den Heimatschutz heran. Unter Beteiligung des Gemeinderates sei ein Konsens gefunden worden: Der Gasthof solle als künftiges Wohnhaus erhalten bleiben. Die Scheune hingegen, die nach einem Brand um 1960 errichtet wurde und nicht als schutzwürdig galt, dürfe abgebrochen werden, sofern der Ersatzbau die wichtigen Gestaltungselemente der Scheune übernehme. Seitens des Heimatschutzes sei aber immer klar gewesen, dass der Wohnteil noch vor dem Baubeginn unter Schutz gestellt werden müsse, so dessen Medienmitteilung.
Im Herbst 2023 erteilte der Gemeinderat eine neue Baubewilligung, die auch den Abbruch der Scheune gestattete. Trotz der Anordnung des Gerichts war zuvor kein Schutzentscheid für das Wohnhaus gefällt worden, so der Vorwurf des Vereins Heimatschutz. «Für uns war weder aus der Bewilligung noch aus den Plänen erkennbar, dass das Wohnhaus ebenfalls abgebrochen werden sollte.»
Dies sieht Gemeindepräsident Patrick Jola völlig anders: Selbst für ihn als Laien sei dank den eingefärbten Plänen jederzeit klar gewesen, welche Teile erhalten bleiben würden und welche nicht. «Es irritiert uns, dass der Heimatschutz erst ein Jahr nach der Baubewilligung aktiv wird und damit über Nacht an die Presse geht.» Es sei im Gegenteil so gewesen, dass die gesamte Baubewilligung in enger Zusammenarbeit aller Beteiligten und mit dem Heimatschutz entstanden sei.
Der Heimatschutz erklärt sein Eingreifen so: Auf Hinweise von Anwohnern, dass vom Dach des Wohnteils die Ziegel entfernt würden, habe der Verein von der Gemeindeverwaltung die beruhigende Zusicherung erhalten, dass bloss die heutigen Falzziegel durch Biberschwanzziegel ersetzt würden. Der Wohnteil werde selbstverständlich nicht abgebrochen. «Wir wurden hinters Licht geführt und massiv enttäuscht» – so beschreibt Heimatschutzpräsident Martin Killias heute den Kompromiss. «Dägerlens Vorgehen diskreditiert alle Schweizer Gemeinden in ihrer Zuständigkeit fürs Bauen.»
Denn am Donnerstag, 8. August, sei der Heimatschutz erneut von der Bevölkerung alarmiert worden, dass nun auch der Dachstock des Wohnteils abgebrochen werde. Die dringende Aufforderung des Vereins, sofort einen Baustopp zu verfügen, habe ein Mitglied des Gemeinderates dahingehend beantwortet, dass das Haus vollständig ausgekernt werde und dazu das Dach und alle Decken zerstört würden. Nur drei Aussenmauern würden stehen bleiben.
«Treu- und rechtswidriges Vorgehen»
Aufgrund dieser Weigerung verlangte der Heimatschutz noch gleichentags die sofortige Einstellung der Bauarbeiten, die Aufbewahrung der Balken (für den allfälligen Wiederaufbau) und die Errichtung eines Notdachs zur Sicherung der Bausubstanz.
Am Freitagmorgen stoppte Gemeinderat Severin Knecht vorerst den Abbruch: Er selbst stehe bei der «Traube» zwar im Ausstand, da «seine» eigene Firma die Holzbauarbeiten leiste, doch er habe als Ferienvertretung von gleich drei Gemeinderäten handeln müssen.
Für Martin Killias missachtet das Vorgehen von Bauherrschaft und Gemeinderat «in krasser Weise die Anordnungen des Baurekursgerichts, welche die Weisungen des Bundesgerichts umsetzen, und es schafft Tatsachen, bevor eine höhere Instanz eingreifen kann». Gemeindepräsident Patrick Jola sagt, hinsichtlich der Schutzabklärung müsse die Behörde wohl nochmals die Akten studieren. «Doch grundsätzlich haben wir im Rahmen unserer Möglichkeiten schnell auf den geforderten Baustopp reagiert.»
Troubles um die «Traube»
Rutschwil - Trotz anderslautender Anordnung des Baurekursgerichts läuft der Abbruch des früheren Gasthofs Traube an der Dorfstrasse zugunsten einer Überbauung. Der Zürcher Heimatschutz wertet dieses Vorgehen als krass und hat beim Gemeinderat den superprovisorischen Baustopp beantragt – vorerst erfolglos.
Silvia Müller/eg
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Troubles um die «Traube»