Manchmal versteckt sich hinter etwas Kleinem etwas sehr Grosses. So zum Beispiel in Henggart – dort ist an der Adresse eines unscheinbaren Mehrfamilienhauses am Dorfrand eine internationale Hilfsorganisation verzeichnet. «Same Skies» heisst der Verein, der in Indonesien und Malaysia tätig ist. In ihrem Geschäftsbericht weist die Organisation zwar nur einen tiefen sechsstelligen Betrag in der Erfolgsrechnung aus. Doch hinter ihr steht ein Team aus über 50 Personen verschiedenster Nationalitäten, die sich zum grössten Teil ehrenamtlich für die verschiedenen Projekte einsetzen.
Dass die Organisation im Weinland ihren Schweizer Sitz hat, verdankt sie einem Zufall. Es ist der Wohnsitz von Monika Frei, die sich hier vor allem um die Beschaffung von Spenden kümmert. «Dass ich in Henggart wohne, ist eigentlich ein Zufall», sagt sie. Früher wohnte sie in Winterthur, doch vor 13 Jahren, als sie eine neue Wohnung suchen musste, fand sie in der Stadt nichts. Nun wohnt sie im Weinland und nutzt von hier aus das Netzwerk aus Bekannten, Freunden und Verwandten, um die nötigen Gelder für die Hilfsprojekte zu beschaffen.
Das tut Monika Frei massgeblich für ihre Tochter Julia. Sie und ihr Partner Bradley Short sind die treibende Kraft hinter «Same Skies». Die Hälfte des Jahres leben die beiden Entwicklungshelfer in Winterthur, die andere in der malaysischen Stadt Malakka. Gemeinsam haben sie die Organisation vor zehn Jahren gegründet.
«Boat people» ohne Perspektive
Nach dem Studium an der Universität Zürich zog es Julia Frei nach Australien, wo sie für verschiedene Hilfsorganisationen arbeitete, später dann in einem Flüchtlingslager der australischen Regierung in Nauru. Denn 2001 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das es Australien erlaubte, in Drittländern Internierungslager für die sogenannten «boat people» einzurichten. Dazu muss man wissen: Australien ist eines der wenigen Länder in der Region, das die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat – und somit überhaupt ein Asylrecht kennt. Dieses wurde allerdings in den vergangenen 20 Jahren über eine konservative Einwanderungspolitik stark eingeschränkt. So wurden vom Militär aufgegriffene «boat people» nach Nauru deportiert, einem winzigen, 3000 Kilometer vom Festland entfernten Inselstaat. 2008 war das Lager vorübergehend geschlossen worden, doch vier Jahre später wurde es nach einem Regierungswechsel wieder eröffnet.
Damals entschied sich Julia Frei, vor Ort zu helfen. Doch sie merkte bald, dass es für sie als Sozialarbeiterin wenig zu tun gab. Bewusst wurde der Alltag der Geflüchteten lethargisch gehalten, es gab für die Menschen dort nichts zu tun. Nauru sei konzipiert, um Menschen zu bestrafen – das berichteten ehemalige Mitarbeiter des Internierungslagers laut einem Bericht des SRF aus dieser Zeit immer wieder.
Gestrandet in Indonesien
Wie man es besser machen könnte, konnte Julia Frei gleich selbst erproben. Durch die restriktive australische Einwanderungspolitik strandeten viele Geflüchtete in sogenannten Transitländern – zum Beispiel in Malaysia oder Indonesien. Eine realistische Chance auf Weiterreise haben sie nicht, heute sind viele von ihnen zwischen zehn und zwanzig Jahren im Land.
Laura O’Neill, eine ehemalige Arbeitskollegin von Julia Frei bei den in Nauru tätigen Hilfsorganisationen, hatte eine Idee. «Sie wusste von afghanischen Familien, die in Indonesien Not litten, und fragte mich an, ob ich ihr bei der Finanzierung eines kleinen Hilfsprojekts helfen könnte», sagt Julia Frei. Die Schweizerin war aber der Meinung: «Wenn, dann machen wir es richtig.» Da sie damals in einer Weiterbildung an der Universität Genf für Projekte und Strategien in der humanitären Hilfe war, gründete sie «Same Skies» sozusagen aus dem Studium heraus. «Im gleichen Jahr starteten wir unser erstes eigenes Projekt», sagt Julia Frei.
Als grösstes Bedürfnis der Geflüchteten in den Bergen von Jakarta entpuppte sich die Ausbildung ihrer Kinder. Mit Startkapital, Ausbildungen und Workshops, Lernmaterialien und Infrastruktur halfen Julia Frei, Bradley Short und Laura O’Neill, eine kleine, durch die Geflüchteten selbst geführte Schule aufzubauen. Schon sechs Monate später konnten 37 Kinder die informelle Schule besuchen.
Dass Kinder von Geflüchteten in Indonesien Schulbildung erhalten, ist alles andere als selbstverständlich. Julia Frei berichtet, auch legale Arbeit und der Zugang zum Gesundheitssystem seien für Geflüchtete kaum erreichbar. «In Europa hat der Umgang mit diesen Menschen wenigstens einen rechtlichen Rahmen», sagt Julia Frei. In Indonesien oder Malaysia würden Geflüchtete zwar geduldet, die Regierungen unternähmen aber wenig bis nichts, um ihnen aus ihrer schwierigen Lage zu helfen. Auch aus diesem Grund sei «Same Skies» in diesen Ländern tätig.
Viele Jahre lang wurde die Organisation ausschliesslich von privaten Spenderinnen und Spendern getragen. Seit zwei Jahren werden Julia Frei und ihr Team von einer internationalen Stiftung unterstützt. Trotzdem sind Private weiterhin wichtig. «Am 7. November, pünktlich zum Zehn-Jahr-Jubiläum, starten wir eine neue Kampagne», sagt die Gründerin. Bald danach reisen sie und ihr Partner wieder zurück nach Malakka, um ihre Arbeit fortzusetzen. Vielleicht auch mit dem einen oder anderen Batzen aus Henggart.
Insgesamt 23'000 US-Dollar (etwa 20'000 Schweizer Franken) möchte Same Skies sammeln, um zu ihrem Zehn-Jahr-Jubiläum zehn Flüchtlingsprojekte zu unterstützen. Das Crowdfunding läuft seit dem 7. November. Same Skies verschafft den Geflüchteten Zugang zu Bildung und Technologie oder hilft, bürokratische oder juristische Hürden der Projekte zu überwinden.
Mehr Infos unter www.sameskies.org
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