Weinland

Vernissage mit Missverständnissen

Im dritten Anlauf klappte es mit der Vernissage. Zukünftige "Sabotage"-Akte würden mit aller Entschlossenheit verfolgt, so der Gemeindepräsident. Das Werk hat auch einen touristischen Wert für die Region.

von Evelyne Haymoz
10. August 2021

Installiert, kopiert, abmontiert. Das Werk «Handschuh» des international bekannten St. Galler Künstlers Roman Signer habe eine «bewegte Geschichte» hinter sich, sagte Gemeindepräsident Hansruedi Jucker am Samstagnachmittag anlässlich der Vernissage in der Schlossscheune in Andelfingen.

Aufgrund des einsetzenden Regens wurden der eigentliche Akt und das Künstlergespräch dorthin verlegt. Die rund 30 Gäste schätzten den Platz «am Schärme».

Ungemütlich dürfte es für allfällige zukünftige «Saboteure» werden. Passiere erneut etwas, werde der Gemeinderat «mit aller Entschlossenheit, in Zusammenarbeit mit der Polizei und mit Videoüberwachung dagegen vorgehen», so der Gemeindepräsident. Die Grenze sei erreicht. Auch als Reaktion aufgrund der Intervention am Werk wurde die Vernissage verschoben, nachdem bereits die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.

Am noch regenfreien Vormittag installierte der Künstler sein Werk im Tobel fertig. Anstatt an einer Holzlatte ist der rot-silberne Feuerwehrhandschuh neu an einer Metallstange befestigt. Diese ist ihrerseits an einem über dem Mülibach aufgestellten Gestänge montiert.

Feuer, Wasser und Zeit
Im Gespräch mit Initiantin Katharina Büchi Fritschi und Christian Zingg, der als früherer Kurator der Kunstsammlung der Bank Julius Bär den Kontakt zu ihm hergestellt hatte, ging Roman Signer ausführlich auf die Anfänge seines Schaffens und seinen Aufenthalt in Polen in den 70er-Jahren ein.

Wasser habe für ihn eine grosse Bedeutung, erzählte der im Kanton Appenzell aufgewachsene Künstler. Als Kind habe er viel Zeit draussen in der Natur verbracht und Dinge konstruiert, «die damals noch keine Kunst waren, aber in diese Richtung gingen».
 
Auf «Handschuh» bezogen war zu  erfahren, dass ihm die Idee für die Installation an Ort und Stelle, also im Tobel, gekommen war. Der kalkhaltige Mülibach erodiere den Untergrund nicht, sondern steige an. Damit der Bach nicht über die Ufer trete, müsse Schlossgärtner Christian Rüegsegger ihn deshalb von Zeit zu Zeit freihacken. Gemäss der Idee des Künstlers versteinert der Kalk auch den Handschuh.

Es sei ein Feuerwehrhandschuh. Da sein Grossvater, sein Urgrossvater und sein Onkel Feuerwehrkommandanten gewesen waren, habe er auch zu Feuer einen Bezug. Um es zu löschen, brauchte es Wasser. Es richte aber auch Schaden an. «Wasser kommt leise und schnell», erinnerte der 83-Jährige an Überschwemmungen, und zu Wasser habe er die wichtigste künstlerische Beziehung, so der frühere Kajakfahrer.

Anker, Hodler, Signer
Viele würden ihn jedoch von der anderen Seite her kennen, meinte Christian Zingg. «Als Sprenger? Das ist ein Missverständnis», sagte Roman Signer vehement. Und er räumte noch mit einem weiteren auf: Er sei kein Performance-Künstler, sondern schaffe Ereignisse.

Im Fall von «Handschuh» gar eines für Andelfingen und die Region, so Katharina Büchi Fritschi. Christian Zingg zögerte nicht, den Künstler im selben Atemzug wie Ferdinand Hodler, Albert Anker oder Alberto Giacometti zu nennen. Er sei überzeugt, dass Andelfingen einst stolz sein werde, ein so feines, poetisches Werk von Roman Signer im Schlosspark zu haben.

Roland Spalinger, Leiter Redaktion
Roland Spalinger, Leiter Redaktion / az
Evelyne Haymoz, Redaktorin
Evelyne Haymoz, Redaktorin / az
Kunst, Poesie oder weder noch?


Andelfingen: Der «Handschuh» von Roman Signer ist zurück im Schlosstobel. Nach einem für die Verantwortlichen «massiven Eingriff» war das Werk kurzzeitig parkiert worden. Für die Vernissage am Samstag brachte der Bach im Tobel viel Wasser, trotzdem konnte bloss ein minimales Wippen festgestellt werden. Aber braucht es das, um die Poesie hinter dem Werk zu vestehen? Kalt scheint es kaum jemanden zu lassen. Zwei Meinungen aus der «AZ»-Redaktion.


Ist das Kunst …
«Ist das Kunst, oder kann das weg?» – Dieses Zitat wird im Zusammenhang mit unbeabsichtigten Entsorgungen von Kunstwerken erwähnt. Ursprung ist im Jahr 1973 die Reinigung einer ausgestellten Wanne, in der der Künstler Joseph Beuys als Baby gebadet wurde. Im Andelfinger Schlosstobel ist seit der Installation des «Handschuhs» umstritten, ob das Kunst ist. «Das ist aber nicht fertig?», fragte mich zum Beispiel eine Frau, die ungläubig auf die Installation blickte.
 
Danach wurde das Werk mit einem Preisschild, «CHF 40'000», versehen, ihm ein 40-mal günstigeres Plagiat gegenübergestellt und ebenfalls angeschrieben («CHF 950»). Und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde eine Puppe in Handwerkermontur beim Werk platziert samt Tafel «Jede än Tubel wo gaht go schaffe».

Die Eingriffe wurden als massiv bezeichnet, die Initiantin des Werks beklagte die fehlende Auseinandersetzung und wies auf die grosse Unterstützung hin – den Wunsch nach einer Signer-Skulptur hatte sie bei der Vergabe des ZKB-Jubiläumsfonds mit mehr als 140 Unterschriften untermauert.

Aber: Wussten die Leute, die ihren «Chribel» im Formular eintrugen, wofür sie sich stark machten? Würden sie es erneut tun, zeigte man ihnen das zu erstehende Werk? Dies darf zumindest bezweifelt werden.

Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage beantworte ich daher so: «Es ist von einem Künstler.» Als solches soll es in Ruhe gelassen und respektiert werden – gleiches gilt für Spielplätze, Selecta-Automaten und Wahlplakate.

Roland Spalinger, Leiter Redaktion


Ist das Poesie …
Das Werk steht. Wieso also nicht einen Zugang zu ihm und seiner Poesie suchen? «Wenn man es erklärt, ist die Poesie schon wieder weg», so Roman Signer an der Vernissage. Ich lasse mich trotzdem auf einen Versuch ein.

Poesie bedeutet auch «bezaubernde Schönheit». So bezaubernd, wie eine Hand auf einen kühlen Stein oder in einen Bach zu legen. So schön, wie das Gesicht in einen Herbststurm oder vor einen Ventilator zu halten – und dabei die Kraft zu spüren, die auf uns wirkt. Habe ich diese Erfahrung einmal gemacht, bleibt die Erinnerung gespeichert. Ich weiss, wie es sich anfühlt. So erinnert mich auch der Sonnenbrand eines Unbekannten an den Schmerz auf der Haut.

Nun kommt ein Hund ins Spiel. Genauer der Pawlowsche Hund und ein Experiment: Der russische Forscher Iwan Petrowitsch Pawlow läutete eine Glocke und fütterte daraufhin den Hund. Dieser speicherte die Verknüpfung von Glocke und Futter. Bald schon setzte sein Speichelfluss allein beim Hören des Klangs der Glocke ein.

Könnte auch für uns der Handschuh im Mülibach ein Reizgeber sein? Allein der Anblick des sich im Wasser befindlichen Handschuhs lässt eigene Erinnerungen aufleben, lässt die Kühle und das Streben des Wassers nachempfinden, ohne dass wir unsere Finger nass machen. Der «Handschuh» könnte uns gedanklich auch an Orte oder in Zeiten schweifen lassen, in denen wir selber –etwa als Kinder – mit Wasser spielten.

Vielleicht hat der Handschuh mehr mit uns zu tun, als wir bisher dachten. Wenn er Erinnerungen und Verbindungen freilegt, die unbewusst, aber unvergesslich sind. Bezaubernd schön.

Evelyne Haymoz, Redaktorin

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