Wegfall der Notfallpauschale für Permanence «existenzbedrohend»

Henggart - Es ist eine Hiobs­botschaft für Notfallpraxen: Im Juni hat das Bundesgericht entschieden, dass diese künftig keine Dringlichkeitspauschalen mehr abrechnen dürfen. Für die Land-Permanence ist das existenzbedrohend.

Tizian Schöni (tz) Publiziert: 25. Oktober 2024
Lesezeit: 4 min

Wenn Ärztinnen und Ärzte ausserhalb ihrer normalen Arbeitszeit eine dringende Behandlung vornehmen, dürfen sie dafür eine sogenannte Dringlichkeitspauschale oder Notfalltaxe verrechnen. Eigentlich logisch: Wer am Wochenende, spätabends oder an Sonntagen arbeitet, hat auch in anderen Berufen Anrecht auf eine entsprechende Entschädigung. Im Gesundheitswesen sind diese Tarife natürlich klar geregelt. Im Kanton Zürich können je nach Wochentag und Arbeitszeit entweder 45 oder rund 100 Franken verrechnet werden.

So machte es auch die Land-Permanence in Henggart. Auf schätzungsweise jeder fünften der rund 30'000 Konsultationen im vergangenen Jahr verrechnete das Unternehmen eine Dringlichkeitspauschale, wie Verwaltungsratspräsident Andreas Hablützel sagt. 600'000 Franken der insgesamt 3,6 Millionen Franken Umsatz wurden über sie erwirtschaftet.

Doch damit ist nun Schluss. Denn 25 Krankenkassen klagten am Bundesgericht erfolgreich gegen diese Praxis.
 
Konkret ging es um die Permanence am Bahnhof Winterthur. Sie hatte auf ihrer Website kommuniziert, dass bei Konsultationen ab 19 Uhr automatisch eine Dringlichkeitspauschale verrechnet werde. Diese Praxis erachtete die vorletzte Instanz, das Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich, noch als legitim. Das Bundesgericht hielt davon indes nichts. Es stellte sich auf den Standpunkt, dass der Tarif nicht verrechnet werden dürfe, wenn der behandelnde Arzt so oder so in den Behandlungsräumen anwesend sei. Und das müsse er. Denn die Permanence in Winterthur habe auf ihrer Website «notfallmässige» Öffnungszeiten bis 22 Uhr kommuniziert.

Gute Versorgung – ohne Finanzierung

«Es ist absurd, dass man hier von Öffnungszeiten spricht», sagt Andreas Hablützel. Er steht nach diesem Urteil des Bundesgerichts vor einer paradoxen Situation: So, wie die Permanence im Moment organisiert ist, werden ihr die Dringlichkeitspauschalen von gewissen Kassen nicht mehr ausbezahlt. Dabei wurde die Notfallversorgung mit der Gründung vor fünf Jahren deutlich verbessert. Patientinnen und Patienten haben seither eine fixe Anlaufstelle in der Region. Und auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte verteilt sich die Notfallbelastung auf viele Schultern. Eine Win-Win-Situation – für die nun plötzlich das Geld fehlen könnte. Vor 2019, als die Hausärzte im Turnus den Notfalldienst übernahmen, sei die Abrechnung der Pauschale diskussionslos vonstattengegangen, sagt Andreas Hablützel. Und damit nicht genug: Die Krankenkassen könnten laut einem zweiten Bundesgerichtsurteil die bereits bezahlten Pauschalen sogar zurückfordern – dabei geht es um Beträge in Millionenhöhe. Auf 1 bis 1,2 Millionen Franken schätzt Andreas Hablützel die Forderungen im Fall der Land-Permanence. Eine Summe jenseits der finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens: «2023 schrieben wir einen Gewinn von 8000 Franken.» Und wenn die Pauschale auch künftig nicht mehr verrechnet werden könne,  breche dem Betrieb ein Sechstel seines Umsatzes weg.

Dem Gesundheitssystem als Ganzes bringe dieser Entscheid gar nichts, ist er überzeugt. Denn sie dränge Notfallpraxen in den Konkurs mit der Folge, dass Patientinnen und Patienten vermehrt direkt Spitäler aufsuchen würden. Und: «Junge Ärzte kommen nicht ins Weinland, wenn sie 60 Tage Notfalldienst leisten müssen.»

Erste Symptome zeichnen sich bereits ab: Im luzernischen Sursee gab die lokale Notfallpraxis der Hausärzte im September bekannt, dass sie auf Ende Jahr ihre Türen schliessen werde, wie das Fachmagazin «Medinside» berichtete. Und der «Blick» schrieb am Montag von einer Kinderpermanence in Zürich, die vor dem Konkurs steht.
 
Dass damit Kosten gespart würden, hält nicht nur der Verwaltungsratspräsident der Land-Permanence für illusorisch. Auch ein ehemaliger Spitaldirektor in Thun sagte im März gegenüber «Medinside», dass die Kosten in einem Spitalnotfall in Bern mindestens doppelt so hoch seien wie bei einer Notfallpraxis. Dieselbe Zahl nennt auch Andreas Hablützel.

Erste Patienten müssen selber zahlen

«Wenn wir die Land-Permanence zumachen müssten, würden wir selbstverständlich versuchen, die Standorte in Rafz und Henggart als normale Hausarztpraxen weiterzubetreiben», sagt Andreas Hablützel. Noch haben aber nicht alle Krankenkassen die Zahlungen ausgesetzt. Nur Kundinnen und Kunden der Helsana und der KPT sind bisher betroffen: Sie müssen ihre Rechnungen bei Notfallbehandlungen selbst bezahlen. Alle anderen Kassen übernehmen die gesamte Behandlung inklusive Pauschale direkt – bis jetzt.

Gesundheits­zentrum: Teilnahme ungewiss

Es war eine grosse Ankündigung, die Gemeindepräsident Andreas Wyler an der Gemeindeversammlung im Dezember 2023 machen konnte: Es gebe eine «Vision» für die Seewadelparzelle (AZ vom 22.12.2023). Spitex, Physiotherapiepraxis, Kita und die Land-Permanence wollten gemeinsam an einem neuen Standort zusammenziehen. In einem neuen Gebäude könnten sie Synergien der Pflege-, Betreuungs- und Gesundheitsbranche nutzen. Entstehen soll das Ganze gleich neben dem Bahnhof auf der Seewadel-Parzelle. Eine Machbarkeitsstudie war bereits erstellt, nun musste Initiant und Verwaltungsratspräsident der Permanence, Andreas Hablützel, seine Partner über die drohenden finanziellen Schwierigkeiten informieren. (tz)