Am Dienstagnachmittag treffen Fritz Griesser und René Meister bei der Gemeindekanzlei in Kleinandelfingen ein, beide mit einer Mappe voller Dokumente unter dem Arm. Zusammen mit den Einwohnerinnen und Einwohnern aus Oerlingen wehren sie sich gegen den Bau eines zweiten Mobilfunkmastes im Dorf. «54 Mal wird der Baurechtsentscheid verlangt», sagt Fritz Griesser. Er hatte sich bereits im Februar des vergangenen Jahres gegen ein erstes Baugesuch des Mobilfunkanbieters Salt gewehrt. Seine Petition unterzeichneten damals 120 Personen. Der Gemeinderat lehnte das Baugesuch schliesslich ab, die Gründe deckten sich zu einem Grossteil mit denen der Oerlingerinnen und Oerlinger: Der Bau sei nicht zonenkonform, die Einordnung ungenügend, und es fehle an Koordination mit den Betreibern der bestehenden Anlage. Nur 300 Meter weiter steht eine Anlage von Swisscom und Sunrise, die beide bereits 5G in Oerlingen verbreiten.
Auf Anfrage teilt die Firma mit, man sei während der Konsultation mit der Gemeinde auf den bestehenden Mast aufmerksam gemacht worden, könne die Infrastruktur aber «aufgrund der strengen Schweizer Grenzwerte» nicht nutzen. Es käme nur ein separater Standort infrage. Laut dem Professor und Umweltepidemiologen Martin Röösli von der Universität Basel ist die Auskunft plausibel: Die angegebenen Grenzwerte beträfen einen Bereich «nur wenige Meter» um die Antenne. Es gehe um das Gebäude, das unmittelbar unter der Antenne liege. Ist demnach zwingend ein weiterer Standort nötig, damit Salt den neuesten Mobilfunkstandard 5G entlang der Autobahn A4 verbreiten kann?
Verkaufen und zurückmieten
Um diese Frage zu beantworten, braucht es einen kleinen Exkurs in die komplexe Welt der Telekombranche. Die Salt Mobile SA (bis 2014 unter dem Namen «Orange» bekannt) gehört dem Mobilfunkanbieter Iliad. Und dieses Monstrum mit seinen 7,6 Milliarden Euro Jahresumsatz wiederum besitzt der französische Internetmilliardär Xavier Niel. Er verkaufte 2019 sogenannte «passive Telekom-Infrastruktur» aus seinem Konzern an die spanische Unternehmensgruppe Cellnex. Darunter waren auch die 2800 Salt-Standorte in der ganzen Schweiz. Wie beide Firmen in Mitteilungsschreiben bekannt geben, löste der französische Verkäufer rund 2,1 Milliarden Euro mit diesem Deal. Alleine die Standorte in der Schweiz gingen für 700 Millionen Euro über den Tisch. Der Börsenwert des Käufers sprang um satte zehn Prozent am Tag der Bekanntgabe.
Eigentlich verkauft wurden dabei aber nur die Masten, Betonfundamente und Kabelkanäle der Anlagen. Die «aktive Infrastruktur», also die an den Masten angebrachten Antennen und Systemelektronik, blieben weiterhin im Besitz des Franzosen und somit der Salt Mobile AG. Gleichentags schloss diese wiederum einen Mietvertrag mit Cellnex – vorerst über 20 Jahre –, um die Masten weiter nutzen zu können. Diese Geschäfte nennt man in der Fachwelt «Rückmietkauf». Sie schwemmen dem Verkäufer Geld in die Kassen, trotzdem kann er seine Anlagen weiterhin betreiben. Sunrise war diesen Deal bereits zwei Jahre zuvor mit derselben Firma eingegangen, um Schulden loszuwerden.
Für den spanischen Konzern sind diese Verträge längst Kerngeschäft: Allein in der Schweiz erwirtschaftete er 2021 488 Millionen Franken aus Leasing- und Serviceerträgen.
Verkauft, bevor gebaut wurde
René Meister glaubt, dass für Oerlingen eine weitere Verabredung im Geschäft zwischen Iliad und Cellnex relevant ist. Vor der Gemeindekanzlei führt er der «Andelfinger Zeitung» aus: Bis 2026 solle Salt dem spanischen Konzern weitere 500 neu erschlossene Standorte übergeben. So suche das Unternehmen weiterhin in eigener Sache Grundstücke, kontaktiere Eigentümerinnen und Eigentümer und reiche Baugesuche ein. Sobald die Antenne stehe, gehe die passive Infrastruktur an Cellnex über, und Salt löse einen Teil seiner vertraglichen Verpflichtung ein. Tatsächlich ist diese Klausel in einer Präsentation des Infrastrukturbetreibers aus Barcelona zu finden.
Rechtlich komplexe Situation
Den Durchblick in diesen Konstrukten von Mutter- und Tochtergesellschaften, Leasingnehmern und -gebern hat Daniel Gruber. Er gründete 2002 die Firma Wireless Communications AG, die die Interessen von Gemeinden, gewerblichen und privaten Grundstückseigentümerinnen und -eigentümern gegenüber den Mobilfunkanbietern vertritt. «Einzig die Swisscom baut, plant und betreibt ihre Anlagen in der Schweiz selbständig», sagt Daniel Gruber. Salt und Sunrise setzten auf Rückmietkäufe. Er erzählt von einem Fall im Kanton Zürich, wo man erfolgreich eine Antenne realisiert habe, an der alle drei Mobilfunkanbieter angeschlossen seien. Nötig war ein Kompromiss: Keiner der drei könne mit voller Leistung senden. Doch der Dialog mit allen Beteiligten habe zu einer einvernehmlichen Lösung geführt.
Mit demselben Ansatz in Oerlingen wären viele Forderungen der Einwohnerschaft erfüllt: Es bräuchte keinen zweiten Mast, die Antenne läge ausserorts, und die Strahlenschutzwerte würden nicht überschritten. Es wäre ein gelungenes Projekt für die Bevölkerung. Von einem zweiten Standort profitieren andere: Die italienische Milliardärsfamilie Benetton, der Staatsfonds von Singapur oder die kanadische Pensionskasse. Sie gehören zu den grössten Anteilseignern von Cellnex.
Weshalb eine Milliardärsfamilie am Antennenbau mitverdient
Oerlingen - Der Bau einer zweiten Mobilfunkantenne bringt dem Dorf wenig. Dafür aber einer italienischen Milliardärsfamilie. Über die verschlungenen Wege der Telekom-branche.
Tizian Schöni (tz)
Publiziert: 03. Februar 2023
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4 min
Weshalb eine Milliardärsfamilie am Antennenbau mitverdient