Es ist ein weiter Weg für ein Haus: vom Weinland nach Winterthur und das ganze Tösstal hinauf, mitten ins Zürcher Oberland. Doch für das «Tiny House» von Fiona Bayer kein Problem: Das Gebäude mit 20 Quadratmetern Wohnfläche steht nämlich auf einem Anhänger. «Ein starkes Auto reicht, um es zu transportieren», sagt die Architektin, Inhaberin und Erbauerin des wirklich winzigen, aber sehr beschaulichen Heims.
Dieser Text ist der Abschluss einer Geschichte, die vor acht Jahren in Thalheim begann (AZ vom 4.4.2018). Drei Gründe nennt Fiona Bayer auf die Frage, weshalb sie damals mit dem Projekt begonnen habe: «Ich wollte etwas von A bis Z machen und zeigen, dass es auch mit weniger Wohnraum, weniger Konsum geht. Und: «Ich wollte mir ein Daheim, einen Rückzugsort schaffen.»
Ein Rückzugsort ist das Häuslein definitiv geworden. Ein kleines Sofa ist so in eine Nische eingelassen, dass man auf allen drei Seiten zum Fenster hi-nausschauen kann. Ein winziger Teppich grenzt die «Stube» vom restlichen Wohnteil ab. Im Ofen prasselt ein Feuer, ein Sideboard dient gleichzeitig als Arbeitstisch. Die grosszügige Küchenzeile inklusive Kühlschrank und Induktionsherd ist komplett mit Holz verkleidet. Ganz oben im Dach befindet sich ein Obergeschoss zum Schlafen. Und im hintersten Teil, getrennt durch eine Schiebetür, gibt es ein voll ausgestattetes Bad mit Toilette und Dusche.
Theoretisch könnte man hier also dauerhaft wohnen – genau wie das ihr Nachbar auch tut, der seinen zur Wohnung umgebauten Zirkuswagen einige Meter entfernt auf demselben Grundstück abgestellt hat.
Tatsächlich hat sich im Leben von Fiona Bayer in den letzten acht Jahren aber viel verändert. Das angefangene Studium zur Sekundarlehrerin ist mittlerweile abgeschlossen, seit vier Jahren arbeitet sie fest angestellt. Und nach sieben Umzügen, verschiedenen WG-Zimmern und verschiedenen Städten hat sie nun eine Wohnung in Birmensdorf, gemeinsam mit ihrem Freund. So dient ihr «Tiny House» heute als Ferienhäuschen.
Mit rund 50 helfenden Händen
Obwohl das Gebäude wirklich winzig ist: «Das Projekt war ein absolut wahnsinnig grosses», fasst Fiona Bayer zusammen. Denn bauen sei keine Arbeit, die man alleine erledigen könne. «Da muss jemand etwas festhalten, dort etwas hochgeben.» Sie habe während der ganzen Zeit etwa 50 Helferinnen und Helfer gehabt. Diese Truppe zu organisieren, habe Zeit und Ressourcen gebraucht. Und schliesslich habe sie selbst während der ganzen Zeit studiert, gearbeitet oder sich ehrenamtlich engagiert. Manchmal war sie so beschäftigt, dass der Bau ganz pausieren musste.
Eine dieser Beschäftigungen hängt ganz konkret mit dem kleinen Häuschen zusammen. Denn um so ein Haus zu bauen, ist viel Recherche nötig. Dazu orientierte sich Fiona Bayer fast ausschliesslich an Projekten im Ausland. In der Schweiz habe es damals im gesamten
Internet nichts dazu gegeben, sagt sie. Dies sei mit ein Grund gewesen, dass sie einen eigenen Blog erstellt habe.
Vom Blog zum Verein
«Willkommen auf meinem kleinen Tiny-House-Blog», beginnt der erste Eintrag im November 2015. Damals teilte Fiona Bayer einen ersten Entwurf des Innenraums. Schnell kamen Berichte vom Baufortschritt, Bilder und viel praktisches Wissen über die kleinen Wohnformen dazu. Welchen Anhänger kann ich verwenden? Was muss ich baurechtlich beachten? Welche Öfen kann ich verwenden? Solche und zahllose weitere Fragen beantwortete Fiona Bayer allmählich – nicht nur für sich selbst, sondern auch für viele weitere «Tiny House»-Enthusiastinnen und -Erbauer.
«Extrem viele Leute schrieben mir darauf», sagte Fiona Bayer. Und anstatt lange Mails hin und her zu schicken, lud sie die Interessierten kurzerhand ein, am Bau ihres eigenen Projekts mitzuhelfen. So entstand allmählich eine Gruppe, die sich Anfang 2018 institutionalisierte. Es entstand der Verein Kleinwohnformen Schweiz, dem Fiona Bayer als erste Präsidentin vorstand. Zwar habe die Vereinsarbeit irgendwann so viel Zeit in Anspruch genommen, dass ihr eigenes Häuslein dabei vergessen zu gehen drohte, erzählt Fiona Bayer. 2019 zog sie sich deshalb zurück. Aber geblieben ist eine Institution, die heute 1500 Mitglieder zählt, Interessen von «Tiny House»-Besitzern vertritt, Expertinnen vermittelt, eine Datenbank für mögliche Stellplätze führt und vieles mehr.
An drei verschiedenen Orten hat Fiona Bayer an ihrem Haus gebaut, etwa 50'000 Franken investiert und insgesamt 208 Bautage geleistet. Im Sommer hat sie bei über 30 Grad im Schatten Dachbleche montiert, im Winter bei minus acht Grad die Isolation. «Das dauerte sieben Tage», erinnert sie sich. «Und ich habe nach jedem grösseren Schritt gedacht: «Jetzt ist es dann bald fertig.» Als dann im Frühling das erste Mal Wasser aus dem Hahn in der Küche floss, habe sie geweint.
Ende Oktober weihte sie das fertige Häuslein mit einer grossen Feier ein – eingeladen war ein Grossteil der Helfenden der vergangenen Jahre. Jetzt geniesst sie ihr Ferienhäuschen meist ganz allein. «Unter einem Dach zu schlafen, das man selbst gebaut hat, ist ein unvergleichliches Gefühl.»
Wie ein sehr kleines Haus zum sehr grossen Projekt wurde