Weinland

Wo der Rhein (meist) einem See gleicht

Auf diesen Erlebnis­bericht ist nicht voll Verlass – er stützt sich auf Erinnerungen von früher. Aktuell wagt sich die Autorin nicht mit dem Paddelbrett rund um die Klosterinsel. Doch bei tieferem Wasserstand wird sie es wieder tun. Ganz sicher.

von Silvia Müller
30. Juli 2024

Wenn im Sommer die beiden Wehre ober- und unterhalb der Klosterinsel den Durchfluss so regeln, dass der Rhein auf fast 2,5 Kilometern eher einem Stausee als einem Strom gleicht, jauchzen nicht alle vor Freude. Naturschützer, Tourismusbetriebe, Bootsbesitzer haben alle gute Argumente dafür oder dagegen. Für Paddel­brettfans auf der Suche nach maximalem Erlebnis bei minimaler Anstrengung ist der Fall klar: Der Stauzustand ist das Paradies.

Diese Saison ist bis dato davon allerdings keine Rede. Am Recherche­termin Mitte Juli äugte die Autorin von der Brücke hinunter auf den «Chly Rhy» – so heisst der Flussarm zwischen Klosterplatz und Insel – und beschloss, sich garantiert nicht wegen eines Sommerserienartikels in Schwierigkeiten zu bringen. Denn auf dem «Chly Rhy» zieht der Fluss immer deutlich schwächer als im anderen Flussarm, und doch braust das Wasser seit Wochen auch hier mit mächtig Zug durch.

Um die Klosterinsel zu umrunden und zurück zur Einstiegsstelle zu gelangen, muss man aber zwangsläufig die Hälfte der Strecke flussaufwärts paddeln. Das ist zurzeit mit dem Paddelbrett nicht gut zu schaffen. Vertagen Sie diese Tour also unbedingt, bis die Rheinschleife wieder zahm und träge daliegt. Aber dann machts Spass!

Als Beweis müssen hier ehrgeizlos geknipste Freizeitfotos und Filmchen vom Juni 2022 genügen, dem wärmsten und trockensten Sommer seit Messbeginn 1864. Damals war das Problem, dass die Flüsse zu wenig Wasser führten. Den Wasserpflanzen ging es prächtig, den ersten Fischen bereits schlecht.

Einstieg links von der BrĂĽcke
Am einfachsten lädt man das Material auf dem Klosterplatz ab und versorgt das Auto gleich dahinter auf dem öffentlichen kostenpflichtigen Parkplatz. Der Ein- und Ausstiegsort unterhalb der Brücke liegt dann komfortabel. Wer länger lagern und grillieren will, kann auch beim Badeplatz weiter flussabwärts starten.

Meine Lieblingstour führt zuerst den «Chly Rhy» hinauf. Hinaufpaddeln geht leichter auf der strömungsärmeren inneren Seite der Flusskurve. Nach dem Einstieg halte ich mich also oberhalb der Brücke eher auf der linken Seite. An dieser fürs Publikum unzugänglichen Inselspitze schaffen Äste im Wasser ein Rückzugsgebiet für Wasservögel, das respektiert werden sollte. 2022 konnte ich vom ersten Wegpunkt aus eine gros­se Schwanenfamilie beobachten.

Dann lenke ich das Brett Richtung Wehr und lasse die Wasseroberfläche nicht mehr aus den Augen. Denn dort liegen je nach Wasserstand keine Handbreit unter dem Brett rätselhafte Mauerreste. Stellenweise ragen Stücke davon sogar ein wenig aus dem Wasser. An dieser Sperre kann selbst die Finne eines Paddelbretts hängen bleiben. Da hilft dann nur eins: absteigen und würdig zwei Meter übers Wasser schreiten. Wie alt diese Unterwassermauern sind und wozu sie dienten, ist im Kasten unten nachzulesen.

Ballett der Wasserpflanzen
Falls die Temperaturen schon länger hoch waren, schwebt das Brett ab dann kurz über eine Wunderwelt aus Wasserpflanzen und Algen. Was sich beim Schwimmen höchst unangenehm anfühlen kann, ist vom sicheren Brett aus betrachtet einfach nur wunderschön.

Links und rechts der fahrbaren Insel tut sich die zauberhafte Welt der kleinen Meerjungfrau auf. Da tanzen lange, gefiederte Tentakel miteinander, die aus der Tiefe zu mir hochzugreifen scheinen, und dann wieder pflügt das Brett einen opulenten grünen Teppich aus schilfähnlichen Pflanzen. Schon wenig weiter vorne, wo die Strömung vom Wehr her zunimmt, wachsen nicht mehr so viele Wasserpflanzen.

Nicht bis zum Wasserfall
Bald lockt der Wasserfall: «Komm her, bewundere mich von ganz nahe.» Aber ich verstopfe mir die Ohren wie weiland die Gefährten des Odysseus. Sich Wasserfällen zu nähern, ist höchst gefährlich, aufgrund der Rückströmung darunter, auch Walze genannt. Erst vor wenigen Tagen ist hier ein Mann ertrunken. Da bleibe ich lieber auf sicherem Abstand und wende das Brett früh wieder flussabwärts. Das Leben hält noch manche lohnende Entdeckung bereit, die erste schon wenige Paddelschläge entfernt. Noch dazu eine, die kein Fussgänger jemals machen wird.

Auf der oberen, unzugänglichen Landspitze der Klosterinsel steht nämlich ein schlichtes Gebäude, das wie eine Werkstatt oder ein Magazin aussieht. Was man nur vom Wasser aus entdeckt: Unter ihm führt ein gedeckter Kanal hindurch. Er ist gerade breit genug, um einen Weidling auf direktem Weg auf den anderen Flussarm durchzulassen.

Lieferanteneingang fĂĽr Weidlinge
In der Mitte des Durchgangs lassen eine Treppe und eine Tür ins Gebäude erkennen, dass der schiffbare Durchgang zum Ausladen von Waren und Personen gedacht war. Nicht nur in Venedigs Wasserstrassen gibt es geheime Winkel zu entdecken!

Zurück im Sonnenlicht auf der anderen Seite könnte man die Tour bereits zufrieden beenden. Aber ich fahre durch den Tunnel wieder zurück auf die andere Seite und steuere dem Kloster entlang flussabwärts. Die Insel ist auf dieser Seite von abweisenden Mauern umgürtet, aber drüben am deutschen Ufer locken der Wald und schattige Plätzchen. Spätestens gegenüber der Spitzkirche befestige ich mit dem Seil aus meinem Seesack die Gondel an einem überhängenden Ast und halte Siesta. Mit Ausblick auf eine wirklich malerische Szenerie – fast wie ein Blick auf einen Winkel Venedigs, bevor morgens die Touristen einfallen.

Auf Wunsch eine Extraschleife
Die auf der Karte eingezeichnete Tour führt nun unterhalb der Spitzkirche hin­über zum Grill- und Badeplatz oder direkt wieder den «Chly Rhy» hoch zum Startpunkt. Je nach Wasserstand muss man dafür nun ein bisschen stärker paddeln.

Brettpaddler, die oft in der Rheinschleife unterwegs sind, verlängern die Tour auch gerne bis zum Grillplatz 500 Meter weiter flussabwärts am rechten Ufer, also auf deutschem Boden. Spätestens dort empfiehlt es sich, umzudrehen. Hinter der nächsten Biegung lauert schon bald das untere Wehr.

Das Kraftwerk veränderte ab 1957 vieles

Am Südufer der Klosterinsel wurden mindestens seit dem 16. Jahrhundert Wasserräder für Mühlen, Säge und Öle betrieben. Damit sie unabhängig von der Wasserführung des Rheins funktionierten, wurde das Wasser schon damals mithilfe von trichterförmig angeordneten Wehren gefasst.

Der abgebildete Kupferstich von 1790 bezeugt die bis zum Bau des Kraftwerks Rheinau 1957 bestehende Situation. Zu sehen ist einerseits ein Streichwehr, das im Bereich des heutigen Hauptwehrs beginnt und das Wasser auf der Prallhangseite hält. Das so gefasste Wasser strömte entlang der linken Rheinseite in Richtung Klosterinsel und «Chly Rhy».

Um bei tiefen Wasserständen ein Überströmen in den «Chly Rhy» zu verhindern, war dieser mit einem heute noch unter dem Wasserspiegel erhaltenen Damm abgetrennt (siehe Haupttext). Der «Chly Rhy» also war bereits in den letzten fünf Jahrhunderten eine Restwasserstrecke, und der prallhangseitige Zuströmbereich der Mühlen ein Staubereich. (sm)

Quelle: «Restwassersanierung der Rheinschlinge bei Rheinau ZH». Gutachten vom 22.12.2011 der Eidg. Natur- und Heimatschutzkommission und der Eidg. Kommission für Denkmalpflege.

Dem Rhein entlang

Verkehrsweg, Grundwasserträger, Schauplatz von Märchen und Sagen: Der Rhein hat viele Gesichter. Für unsere fünfteilige Sommerserie ist er für einmal kühlender Bade-, Ausflugs- und Ruheort. Im dritten Teil stellt unsere Autorin ihre Lieblingsroute mit dem Paddle Board in der Rheinschleife vor. (az)

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