Weinland

Wo es kracht, kracht etwas ein

Dem Sohn wird in der Schule Gewalt angetan. Der Vater meint: Die Schule hat versagt. Die Schulpflege muss schweigen. Und nun steht eine Rücktrittsforderung im Raum.

von Tizian Schöni
21. Juni 2024

Die Vorwürfe gegenüber der Schule wiegen schwer: «Ignorieren einer sich abzeichnenden Gewalttat», «Kompetenzüberschreitung», «Befangenheit», «Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien», «Gesprächsverweigerung», «Nicht­wahrnehmung der Aufsichtspflicht». Die Liste an Punkten, die der Vater eines schulpflichtigen Sohnes den Behörden in Dägerlen vorwirft, könnte noch weitergeführt werden. Selber Pädagoge mit langjähriger Berufserfahrung, hat er beim Bezirksrat Winterthur eine fünfseitige Aufsichtsbeschwerde gegen die Schulleitung und die Schulpflege eingereicht – und sie mittlerweile sogar noch ergänzt.

Von dieser erfahren hat die «Andelfinger Zeitung» über eine «Bürgerinfo», die der Vater in alle Haushalte der Gemeinde Dägerlen verteilte. Ein Weblink im Dokument führt zu zahlreichen Schriften, Formularen, Chat-Nachrichten und E-Mails, die er in den vergangenen Monaten mit der Schule ausgetauscht hat.

Dass der Fall an die Öffentlichkeit gelangt, hat also der Vater ausgelöst. Aus dem Schreiben geht hervor: Es stört ihn, dass die Schulpflege für ihre Stellungnahmen beim Bezirksrat bereits dreimal um eine Fristverlängerung gebeten hat. Dass die Behörde wegen des laufenden Verfahrens nicht zu einem Gespräch bereit ist. Und dass die Missstände an der Schule angeblich weiterhin bestehen.

Ein Streit zwischen Schulkindern
Am Anfang steht ein Streit auf dem Schulhof im Dezember 2022. In der Mitte ein Fussball, um den sich mehrere Mittelstüfler zanken. Involviert sind der Sohn des besagten Vaters, das Kind eines Behördenmitglieds und ein dritter Jugendlicher (L.). Während dem Streit fällt der Sohn zu Boden. Entweder wird er dabei gestos­sen oder er fällt, nachdem er weggestos­sen wurde. Als er auf dem Boden liegt, wird er von L. ins Gesicht getreten.

Dass jede und jeder Beteiligte zum Vorspiel und dem Ablauf des Streits eine andere Geschichte erzählen wird, liegt in der Natur der Sache. Alle gehört hat der Autor dieses Textes bisher noch nicht. Die Behördenmitglieder unterliegen der Schweigepflicht. Obwohl einige von ihnen als Privatpersonen betroffen sind und der Vorwurf der Befangenheit besteht, können sie gegenüber dem Autor keine Auskunft geben. Ein Gespräch mit der Familie von L. konnte noch nicht stattfinden. Die Sekunden vor dem Fusstritt werden aber übereinstimmend in der Dokumentation des Vaters für den Bezirksrat und in einem Schreiben der Primarschule geschildert, beide Dokumente liegen der «Andelfinger Zeitung» vor. Was in Letzterem nicht steht: dass es sich bei einem der Kinder, die an diesem Streit beteiligt waren, um das eines Behördenmitglieds handelt.

Teile der Behörde traten teilweise in den Ausstand. Ob diese Zurücknahme ausreichend war, darüber entscheidet im Moment der Bezirksrat.

Unfaire Massnahmen?
Die Eltern des Opfers zeigten L. schliesslich an. Denn es handle sich bereits um die zweite Gewalttat von L. gegenüber seinem Sohn, wie der Vater in seiner «Bürgerinfo» schreibt (die erste fand ausserhalb der Schule statt). Für den Täter hatte dies ein jugendrechtliches Nachspiel. Und: Die Schulpflege verfügte unmittelbar nach dem Vorfall im Dezember gegenüber dem Jugendlichen eine Auszeit. Eine solche Massnahme kann angeordnet werden, wenn Schülerinnen und Schüler «vorübergehend im Klassenverband nicht mehr tragbar sind», wie es der Rechtsdienst des kantonalen Volksschulamts in einem Schreiben festhält. Bis zu den Weihnachtsferien musste L. zu Hause bleiben und dort beschult werden.

Als L. an die Schule zurückkehrte, erliess die Schulpflege eine Reihe von Massnahmen, die beide Kinder betrafen, damit sie sich auf dem Schulgelände nicht begegnen würden. Auch damit ist der Vater nicht zufrieden. Er ist der Ansicht, dass sein Sohn als Gewaltopfer nicht von einem Rayonverbot betroffen sein sollte, wie er in der «Bürgerinfo» schreibt.

Die Einschränkungen für beide Kinder dauerten bis Ende April 2023 – danach wurden die Massnahmen aufgehoben. Einige Wochen ging alles gut, doch im August und September flammte der Konflikt wieder auf. Weil die Schulpflege ihm trotz mehrmaliger Aufforderung das Gespräch verweigert hatte, so der Vater, reichte er am 27. September Beschwerde beim Bezirksrat ein. Dies sei ihm mehrmals vonseiten der Schulpflege nahegelegt worden.

An diesem Punkt endete der Streit auf dem Schulhof – denn L. verliess die Schule Ende Oktober 2023 aus Gründen, für die der «Andelfinger Zeitung» keine Bestätigung vorliegt.

46 Anfragen an Versammlung
Doch zwischen Eltern und Behörden zieht sich der Konflikt bis heute hin. In Hintergrundgesprächen beschreiben alle Parteien den Streit als «schwierig», «emotional belastend» oder «enorm aufreibend». Denn der vermeintlich falsche Umgang mit einer Gewalttat auf dem Schulhof ist längst nicht mehr der einzige Missstand, den der Vater der Schule und den Behörden vorwirft. Grosse Teile der Aufsichtsbeschwerde betreffen nicht den Vorfall, entsprechend dürfte die Schulpflege an der Gemeindeversammlung vom Donnerstag für diese Punkte klare Worte finden. Der Vater hat der Behörde einen Katalog mit 46 ordentlichen Anfragen eingereicht. Darunter werden viele Fragen aus der Aufsichtsbeschwerde erneut gestellt.

Er möchte wissen, weshalb für den Verbleib der Niederwiler Kinder in der Primarschule Dägerlen nicht mehr getan wurde, und ob der Schulpflegepräsident bereit sei, zurückzutreten. Laut diesem habe der Konflikt längst eine persönliche Dimension erreicht. Die Rücktrittsforderung an ihn als Präsident sei ein klares Indiz hierfür, hätten sie doch stets alle Entscheide als Behörde gefasst.

Doch er sagt auch: Sollte die Versammlung vom Donnerstag einen Rücktritt fordern, werde er beim Bezirksrat darum erbitten.

Weshalb wir berichten

Gibt es Missstände in den Schul­behörden und wenn ja, wie werden diese angegangen? Diese Frage ist unserer Meinung nach von öffentlichem Interesse, und darauf fokussieren wir unsere Berichterstattung in dieser Angelegenheit. 

Auf die Nennung von Namen wurde aus zwei Gründen verzichtet, obwohl der Beschwerdeführer eine Namensnennung ausdrücklich genehmigt hatte. Erstens sind Kinder in der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten besonders zu schützen. Zweitens gilt – gerade für Online-Medien und digitale Archive – ein «Recht auf Vergessen». Für die Herleitung und Einordnung der Ereignisse, die nun auf Eltern- und Behördenebene stattfinden, bleibt es trotzdem unerlässlich, das Vorgefallene zu schildern. (tz)

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