Weinland

Wohnen, wo einst geschossen wurde

Planänderung bei der Genossenschaft Mülibach: Aus dem sanierungsbedürftigen alten Schützenhaus wird kein Begegnungsraum, sondern ein Kleinhaus. Auch die kantonale Denkmalpflege macht mit.

von Manuel Sackmann
03. Mai 2024

Die Umgebung hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Nord- und ostseitig sind zahlreiche neue Mehr- und Einfamilienhäuser entstanden. Doch das alte Schützenhaus im Andelfinger Ursprungquartier hält dem Wandel wacker stand. Auch wenn ihm das immer schwerer fällt.

Das historische kleine Gebäude mit Baujahr 1792 ist marode und stark sanierungsbedürftig. Es steht schief, und das Dach ist undicht. Verschwinden dürfe es aber auf keinen Fall, findet die Genossenschaft Mülibach Andelfingen. 2021 erwarb sie das Häuschen mit der Absicht, ihm neues Leben einzuhauchen. Der erste Plan, daraus einen öffentlichen Begegnungsraum zu machen (AZ vom 30.8.2022), wurde mittlerweile wieder verworfen. Laut Genossenschaftspräsident Conrad Schneider auch aufgrund einem lauen Engagement vonseiten der Gemeinde. Diese habe nur wenig Interesse gezeigt, das 232-jährige Schützenhaus wiederzu­beleben.

Neu kantonales Schutzobjekt
Deshalb, und weil die Genossenschaft auch Einnahmen erzielen muss, wird nun eine neue Idee verfolgt: «Wir verwandeln das Gebäude in ein schönes Zweieinhalb-Zimmer-Kleinhaus, ein sogenanntes Tinyhouse», sagt Conrad Schneider. Weil die alte Bausubstanz besonders wertvoll ist, strebten sie eine Aufzonung vom kommunalen in ein kantonales Schutzobjekt an und rannten damit in Zürich offene Türen ein. «In Andelfingen haben nur wenige Bauwerke diesen Status, etwa die Holzbrücke, die Kirche oder neu dann zusätzlich der Mülibach», so der Präsident. Dank dieser Aufzonung wird das Projekt auch finanziell von der Zürcher Denkmalpflege unterstützt.

«Diese Beiträge sind dazu da, die Grundsubstanz des Gebäudes zu erhalten, nicht für den Innenausbau», erklärt Architekt und Vorstandsmitglied Ruedi Zehnder. Das alte Schützenhaus soll äusserlich möglichst in den Originalzustand zurückgesetzt werden. Heisst: Der angebaute Holzschopf an der Nordseite wird abgerissen, die dahinter liegenden vier Schiessfenster werden wiederhergestellt – nun einfach als normale Fenster. Schief wird das Häuschen auch danach bleiben. «Der Versuch, es wieder geradezurücken und aufzurichten, würde alles kaputt machen», ist der Fachmann überzeugt. Stattdessen wird es in seiner aktuellen Position stabilisiert.

Am dringendsten ist jedoch die Sanierung des Dachs. Dieses habe im Winter stark gelitten, Wasser gelange überall ins Innere. Mittlerweile ist die Gefahr, es zu besteigen, zu gross. Sobald der Schopf abgerissen ist, was in den nächsten Wochen geschehen soll, folgt die Erneuerung des Dachs.

Mix aus historisch und modern
Erst in einer zweiten Etappe wird der Innenausbau in Angriff genommen, dies vor allem mit natürlichen und einfachen Materialien wie Holz, Lehm- oder Hanfstein. 60 Quadratmeter Wohnfläche inklusive einer Galerie als Schlafbereich bietet das Schützenhaus künftig. «Es wird einer Loftwohnung ähneln und eine Mischung aus Historischem und Modernem», so Conrad Schneider. Und Ruedi Zehnder ergänzt: «Es geht darum, eine Geschichte aufzunehmen und baulich weiterzuerzählen.»

Der «alte Groove» beziehungsweise das Ursprüngliche und Erhaltenswerte aus früheren Tagen soll sichtbar bleiben. Auch ein Cheminée ist vorgesehen. Dank guter Isolierung und Wärmepumpe wird aber auch zeitgemässer Wohnkomfort geboten. «Wir ziehen den Pulli innendurch an», beschreibt der Architekt das Vorgehen. Die Dämmung wird also nicht von aussen am Gebäude angebracht, sondern von innen.

So bleibt äusserlich vieles beim Al­-ten – trotz der jüngsten Bautätigkeit in der Nachbarschaft. «Das Haus ist von der Landwirtschaftszone umringt, zwei Drittel der Seiten sind noch immer so frei wie früher», sagt Ruedi Zehnder. Da es auf einem 900 Quadratmeter grossen Grundstück steht, haben künftige Mieter auch viel Raum, um ihre Umgebung zu personalisieren.

Finanziell stabil und ohne Auto
Die Genossenschaft hat klare Vorstellungen, wie eine solche Mieterpartei aussehen könnte. Naturnah, wohnen mit Atelier, Ein- bis Zwei-Personen-Haushalt sind genannte Beschreibungen. Vorzugsweise kommen allfällige Mieter zudem ohne Auto aus. Die Bauherrin ist gesetzlich verpflichtet, einen Parkplatz zur Verfügung zu stellen. Weil dies aber vor Ort nicht möglich ist, müsste dafür auf die im Dorfkern gelegene Obermühle ausgewichen werden.

Auch stabile finanzielle Verhältnisse sind von Vorteil, denn günstig dürfte das Wohnen im alten Schützenhaus kaum sein. Erhalt und Renovation von historischen Gebäuden sind teuer. Die Genossenschaft rechnet mit Projektkosten in sechsstelliger Höhe. Finanziert wird das Vorhaben nebst eigenen Mitteln durch Stiftungen und die Denkmalpflege. In gut zwei bis drei Jahren soll alles bezugsbereit sein. «Wir sind sehr zuversichtlich und freuen uns, unseren Plan zu realisieren», so Conrad Schneider.

Detaillierte Pläne zum Projekt finden Sie hier im angehängten PDF.

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